Im Johanneum an der Aemtlerstrasse proben heute verschiedene Chöre. Das hat Tradition. Der Ambrosiuschor sorgte während neun Jahrzehnten für Musik an Feiertagen, zeitweise gab es einen Frauenchor und ein Orchester. Auch wenn die Chöre musikalisch harmonieren: Ihre Geschichte war wechselvoll. Im Pfarreiarchiv von Herz Jesu Wiedikon sind Dokumente aus der Gründungszeit zu finden, aber auch solche aus der jüngeren Geschichte der Gemeinde: so ein Plan für die «Kantorei Herz-Jesu Wiedikon» vom Oktober 2007 mit zwei gemischten Chören, einem Vokalensemble, einer Choralschola und einem Kinder- und Jugendchor. Verfasser: Stephan Klarer, Dirigent, Spezialist für Gregorianik und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste. Er hatte 2007 eben seine Stelle als Kirchenmusiker an der Liebfrauenkirche Zürich gekündigt. «Sein» Chor, der Gregorius-Chor der Pfarrei Liebfrauen, wollte aber weiterhin bei ihm bleiben. Und so kam er ins Gespräch mit der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon. Zur gleichen Zeit befand sich der schon seit 1921 bestehende Ambrosiuschor, der Kirchenchor von Herz Jesu Wiedikon, ebenfalls in einer schwierigen Situation: Der Chorleiter Marco Castellini hatte 2006 seinen Posten verlassen, der Präsident Peter Schlichte übernahm das Amt der musikalischen Leitung. «Ich hatte in den 1980er-Jahren ein berufsbegleitetes Chorleiterdiplom am Konservatorium Zürich erworben», erzählt Schlichte. Es sei seine Pflicht gewesen, den Ambrosius-Chor bis zur Findung eines neuen Chorleiters oder einer Chorleiterin interimistisch zu übernehmen. «Sonst wären wir damals untergegangen.» Eine Kantorei entsteht Zwei Chöre in der Klemme und ein hochqualifizierter Dirigent bildeten sodann die Basis für die heute noch bestehende Kantorei Herz Jesu Wiedikon. Klarer übernahm ab 2008 den Ambrosiuschor in Herz Jesu Wiedikon und der Gregorius-Chor aus Liebfrauen folgte ihm an die Aemtlerstrasse. Als Leiterin der Singschule für Kinder und Jugendliche wurde Chrysoula Peraki verpflichtet. Die ausgebildete Sängerin hatte zuvor die Chorleitungsausbildung bei Klarer absolviert. «Es war für mich ein Privileg, eine neue Singschule zu gründen», sagt sie. Ein Teil der Kinder von 2008 ist heute fast erwachsen und singt im neuen Jugendchor. Der Fokus bei der Arbeit sei immer die Stimme: «Man soll nachher das ganze Leben Freude haben am Singen.» Die rund 35 jungen Sängerinnen und Sänger proben samstags und treten in Gottesdiensten und in Konzerten auf. In den vergangenen fünf Jahren bildeten jeweils die Liedertheater den Jahreshöhepunkt – 2021 kam ein eigens für die Singschule und den Jugendchor komponiertes Musical zur Aufführung. Auflösung des angestammten Chors Nicht so reibungslos wie bei der Singschule verlief die Entwicklung bei den beiden Chören – Ambrosiuschor und Gregorius-Chor – für die Erwachsenen: Mit der Zeit entstand eine Konkurrenzsituation, die schliesslich auch den Weggang des Dirigenten Stephan Klarer zur Folge hatte. Nach einer Ausschreibung der Dirigentenstelle wurde 2014 mit Bardia Charaf ein neuer Chorleiter gefunden. Mit ihm kehrte Ruhe ein – aber nur für kurze Zeit. «Offenbar stellte man sich seitens der Pfarreigremien aber zunehmend die Frage, ob es in Herz Jesu Wiedikon wirklich zwei Chöre nebeneinander brauche. Schliesslich beschloss sie dann, den Ambrosius-Chor aufzulösen», sagt Peter Schlichte. Der Vorstand des Chores und auch die Mitglieder hätten sich dem Entscheid nach heftigen Diskussionen dann angeschlossen. An einer ausserordentlichen Generalversammlung wurde der Ambrosius-Chor per Ende 2015 aufgelöst. «Ein wesentlicher Grund für das Ende war seitens des Chores auch die Überalterung der Mitglieder und der damals zahlenmässig tiefe Bestand an Sängerinnen und Sängern», sagt Schlichte rückblickend. 1968 gar eine Schallplatte aufgezeichnet Als Schlichte 1959 als 16-Jähriger dem Ambrosiuschor beigetreten war, hatte der Verein rund achtzig Mitglieder. Unter Chorleiter Fridolin Roth, auch Vikar in der Pfarrei, verfügte man über ein Repertoire mit zahlreichen Messen und sang zu Ostern, Pfingsten, am Caeciliensonntag und an Weihnachten Orchestermessen. «Qualitativ waren das sehr gute Aufführungen mit professionellen Orchestermitgliedern und Solisten», sagt Schlichte. 1968 habe man sogar eine Schallplattenaufnahme von Joseph Haydns Nicolai-Messe gemacht. Schlichte erlebte den durch gesellschaftlichen Wandel bedingten Rückgang von Sängerinnen und Sängern auf rund fünfzig in den 1970er-Jahren. Höhepunkte sind ihm aber auch unter den Dirigenten Stephan Meier und Marco Castellini in Erinnerung, so etwa die Aufführung von Heinrich Schütz’ Johannespassion in Kleinformation. Zu Beginn ein Männerchor Gegründet worden ist der Ambrosiuschor fast zeitgleich mit der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon. Die ersten Statuten stammen vom 6. November 1921. Es ist darin zu lesen, dass Beitrittswillige eine vierwöchige Probezeit mit «einer Prüfung über ihre gesangliche Befähigung» zu bestehen hatten. Die Statuten regelten auch die Tätigkeit einer «Vergnügungskommission», die «bei gemütlichen Anlässen» für Unterhaltung sorgen sollte. Aufgenommen wurden in den ersten Jahrzehnten des Chors nur Männer – als Passivmitglieder hingegen waren Frauen ebenfalls willkommen. Ob sie ihre Funktion primär bei der «Pflege des gesellschaftlichen Lebens» ausführten, vielleicht als Köchinnen? Belegt ist zeitweise auch der Frauenchor Laetitia, der später sicher als Nachwuchsreservoir für den ab den 1940er-Jahren gemischten Ambrosiuschor diente. Mehr als Kirchenmusik Zur Pflicht des Chors gehörte die Begleitung der Messen an den Feiertagen. Aber auch die Konzerte ausserhalb der kirchlichen Feiern zogen ein grosses Publikum an. Im November 1927 beispielsweise führte der Ambrosiuschor Robert Schumanns Märchenidyll «Der Rose Pilgerfahrt» von 1851 auf. Neben Chören gehörten auch Musikgesellschaften zu katholischen Pfarreien – in Herz Jesu Wiedikon existierte zeitweise die «Utonia», die beispielsweise an der Fasnachtsfeier 1928 aufspielte, so einen Marsch mit dem Titel «Wir bleiben neutral». Eine reformierte Frau als erste Dirigentin Der heutige Kirchenchor von Herz Jesu Wiedikon, der Gregorius-Chor, kann ebenfalls auf eine lange Geschichte zurückblicken. Er entstand 1890 und probte ab 1891 im Gesellenhaus am Wolfbach. Initiiert hatten ihn sechs Frauen mit Erlaubnis des Pfarrers Karl Reichlin, der in St. Peter und Paul amtete. Die reformierte Louise Grob wurde als erste Dirigentin engagiert. Mit der Gründung der zweiten römisch-katholischen Pfarrei in der Stadt Zürich 1893 und dem Bau der Kirche Liebfrauen, die 1894 eingesegnet wurde, bekam der Chor eine Heimat. Aus dem Frauenchor wurde bald ein gemischter Chor, dessen Mitgliederzahlen stetig wuchsen. Chorgeschichte ist Familiengeschichte Ein früheres Mitglied war Josef Kordeuter, Grossvater von Regula Schoop, die noch heute Sängerin im Gregorius-Chor ist. «Mein Grossvater trat 1901 bei und blieb während 41 Jahren Sänger», erzählt sie. Der Chor prägte denn auch die weitere Familiengeschichte: Ihre Eltern lernten sich im Gregorius-Chor kennen und lieben – und blieben Mitglied: die Mutter während 57 Jahren, der Vater 48 Jahre lang, davon zehn Jahre als Präsident. «Schon als kleines Kind nahm man mich mit zu den Gottesdiensten.» Zusammen mit anderen Kindern durfte Schoop jeweils von der Empore aus der Messe folgen. «Es war damals selbstverständlich, dass auch ich beitrat», sagt sie, die 1961 ihren Einstand als Sängerin gab. Die offizielle Aufnahme in den Chor erfolgte damals nach rund einem halbem Jahr Kandidatur plus Stimmprobe beim Dirigenten. «Sowohl für die Aktiv- als auch die Passivmitglieder bedeutete der Chor das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens», sagt Schoop. Viele Passiv-Mitglieder hätten die Aktiven mit ihrem grosszügigen Obolus unterstützt, zum Beispiel bei Chorreisen oder bei den festlichen Cäcilienfeiern. Trotz gesellschaftlichem Wandel, auch während Familienzeit und nach Wegzug aus der Stadt nach Gockhausen blieb Schoop dem Gregorius-Chor treu. Sie folgte dann 2008 auch zusammen mit der Mehrheit des Chores dem Dirigenten Stephan Klarer von Liebfrauen nach Herz Jesu Wiedikon. Erst die Corona-Pandemie hat ihren Probenbesuch unterbrochen. Uraufführung der «Missa festiva» geplant Heute besteht die Kantorei Herz Jesu Wiedikon aus dem Gregorius-Chor, der Singschule und dem Jugenchor. Jeweils mittwochs findet ein «Singe mit de Chliine» statt. «Wir haben einen eigenen Klang gefunden», sagt der Dirigent Bardia Charaf über seine siebenjährige Arbeit mit dem Gregorius-Chor. Gegenwärtig probt er an der «Missa festiva», die er für «seinen» Chor geschrieben hat – eigentlich zum Jubiläum 2021. Die Uraufführung ist für Pfingsten 2022 geplant. Eine Bilderausstellung in der Oberkirche Herz Jesu Wiedikon zeigt ab Ende Februar Fotos aus der Geschichte der Kirchenmusik in der Pfarrei.
0 Kommentare
|