Im Turm der Kirche Herz Jesu Wiedikon hängen sechs Glocken, die in Grösse und Klang aufeinander abgestimmt sind. Erst sieben Jahre nach dem Bau der Kirche konnte die Pfarrei sich 1928 dieses Geläut leisten und in den 1980er-Jahren musste eine defekte Glocke ausgetauscht werden. Eine Fotoausstellung in der Oberkirche lässt bis Ende September in die Wiedikoner Glockengeschichte eintauchen. Vor hundert Jahren war die Kirche Herz Jesu fertig gebaut und eine Pfarrei errichtet. Pfarrer Christian Herrmann kümmerte sich um die Gläubigen. Geld aber, um die Kirche nun auszustatten, war kaum vorhanden und musste erst gesammelt und gespart werden. Fünf Jahre nach dem Bau dann folgte 1925 die Einsegnung des Apsisbildes. Noch immer aber fehlte das, was Kirchen bis heute besonders auszeichnet: Glocken. Pfarrer Herrmann schrieb im Jahr 1927: Seit 1921 «haben wir viele, schöne, heilige Feste gefeiert, aber immer fehlte uns etwas: Der Glocken liebe Stimme». Ein Geläut aus Thüringen In der Schweiz gab und gibt es vor allem einen Namen, wenn es um die Herstellung und Restauration von Kirchenglocken geht: Rüetschi in Aarau. Hier werden seit dem 14. Jahrhundert Glocken gegossen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde hierzulande aber bekannt, dass deutsche Giessereien preiswert Glocken fabrizierten, die ebenfalls von guter Qualität waren: So wandten sich die Verantwortlichen aus Herz Jesu Wiedikon an den Glockengiesser Otto Schilling in Apolda nahe Weimar in Thüringen. Am 12. Juli 1928 goss Schilling das Geläut für Herz Jesu Wiedikon: nach einer Nacht Einfeuern entstanden sechs Glocken, die je zwischen 450 und 4200 Kilogramm wogen. Ihr Grundmaterial: Kanonen aus den Niederlanden und zwei alte Glocken aus Melchtal in Obwalden. Einige Wochen später reiste Glockenexperte Hugo Löbmann aus Leipzig nach Apolda, attestierte «einen völlig gelungenen Guss» und empfahl die Glocken «zur vorbehaltlosen Abnahme». Nun waren das Geläut bereit für den Export in die Schweiz. Freudentag im September Am 28. September vor 93 Jahren schliesslich kamen die Glocken aus Deutschland am Bahnhof Zürich an und wurden mit Ross und Wagen nach Wiedikon transportiert. Zwei Tage später, am 30. September, fand deren Weihe statt – im Beisein Bischofs Gregor Schmid von Grüneck. Bilder zeigen eine riesige Menschenmenge an der Aemtlerstrasse. 8500 Franken kamen beim Glockenopfer zusammen – heute entspräche dieser Betrag über 50 000 Franken. Ein «enormer Betrag», wie Pfarrer Herrmann rückblickend sagte. Der junge Vikar Loretz meinte, dies sei der schönste Tag in seinem Leben gewesen. Elektrische Läutmaschine Am 9. Oktober schliesslich läuteten die sechs Glocken zum ersten Mal. Pfarrer Herrmann schrieb dazu: «Das Gesamtgeläute wirkt ganz gewaltig. Unser Geläute ist zur Zeit das drittgrösste der Stadt Zürich. Zuerst kommt St. Anton und dann Fluntern.» Besonders freute er sich über die elektrische Läutmaschine, die am 30. November erstmals eingesetzt wurde und «die grosse Glocke schon ganz flott in Schwung» brachte. Und wie lange hielten die Glocken aus Apolda? 1984 war eine der sechs Glocken, die «Herz Jesu Glocke» verstimmt. Der Sprung konnte nicht mehr geflickt werden – die Glocke wurde zum Ausstellungsstück unter freiem Himmel auf dem Kirchplatz. Ersetzt wurde sie dann durch eine neue, in Karlsruhe gegossene Glocke. Waren 1928 noch Pferde für den Transport und ein Flaschenzug für die Montage im Turm gefragt, so erledigte dies 1984 ein Lastwagen mit Hebebühne. Auch diesmal zog das Spektakel Zuschauerinnen und Zuschauer an, wenn auch nicht mehr Hunderte wie 1928. Ausstellung in der Oberkirche bis Ende September
Die Fotoausstellung in der Oberkirche zeigt bis Ende September Bilder von 1928, als sich die Pfarrei endlich Glocken leisten konnte, und von 1984, als eine der Glocken ausgewechselt werden musste. Verantwortlich für diese Ausstellung ist Franziska Erni. Sie wählte die Bilder aus und erstellte aus zahlreichen Archivdokumenten die Erklärtafeln.
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