Im Kirchturm der Kirche Herz Jesu Wiedikon hängen seit 1928 sechs Glocken. Es handelt sich dabei um das vierte Geläute für eine katholische Kirche in der Stadt Zürich seit der Reformation: St. Peter und Paul hatte schon 1896 fünf Glocken bekommen, die Liebfrauenkirche 1897 sechs Glocken, 1912 folgte St. Anton mit ebenfalls sechs Glocken. Von Stefanie Faccani, Kunsthistorikerin lic. phil. und Katechetin Die Glocken in Herz Jesu Wiedikon wurden von der damals international tätigen thüringischen Hofglockengiesserei Franz Schilling Söhne in Apolda gegossen. Diese hatte den Ruf, europaweit die beste zu sein. Bereits seit 1922 hatte diese Giesserei Kirchenglocken in die Schweiz geliefert – für die Pfarreien in Neuhausen, St. Margrethen, Männedorf, Melchtal, Bülach, Wolhusen und Grengiois. Zeitgleich zur Pfarrei Herz Jesu Wiedikon bekamen 1928 die Pfarreien Schüpfheim, Vernamiège und Magliaso ebenfalls Glocken dieser Giesserei. Bei der Festpredigt zur Weihe am 30. September sagte Pfarrer Christian Herrmann in Anspielung darauf, dass das Erz für die Glocken von alten Kanonen stammte: «Dasselbe Erz, das Mord und Hass gespieen, wird nun geweiht und geheiligt und soll Frieden rufen und zum Gebete auffordern, zum gemeinsamen Flehen um den Geist der Liebe.» Diese Aufgabe nimmt seither jede der sechs Glocken wahr in ihrer Eigenheit, bestimmt durch Grösse, Klang und Namen. Die Grösste: die Herz-Jesu-Glocke (B, 4168 kg) Die Herz-Jesu-Glocke ist die grösste und nach dem Patrozinium der Pfarrei, dem Herzen Jesu, benannt. Nachdem die Glocke einen Sprung bekommen hatte, musste sie 1984 ersetzt werden. Im Kirchturm hängt seither eine Replik, gegossen in der Nachfolgegiesserei von Franz Schilling Söhne, Carl Metz GmbH in Karlsruhe. Die ursprüngliche Glocke ist nun auf dem Kirchhof aufgestellt und lässt sich dort betrachten: Auf der einen Seite ist ein Bild von Jesus mit ausgestaltetem Herzen, auf der anderen die Kirche selbst abgebildet. Die lateinische Inschrift lautet in deutscher Übersetzung: «Herz Jesu, des Sohnes des ewigen Vaters, erbarme dich unser. – Herz Jesu, unsere Hoffnung auf Erden, sei unser Lohn im Himmel.» Mit diesen Worten wird das Herz Jesu angerufen, das Symbol der Liebe. Die Verehrung des Herzens Jesu gründet seit den Kirchenvätern auf dem biblischen Bericht der durchbohrten Seite des Gekreuzigten im Johannesevangelium (Joh 19, 34): «[…] einer der Soldaten stiess mit der Lanze in seine Seite und sogleich floss Blut und Wasser heraus.» Die geöffnete Seite Jesu wurde als Quelle der Sakramente gesehen, das Blut für die Eucharistie, das Wasser für die Taufe. Im Mittelalter wurde das Herz Jesu in der deutschen Mystik verehrt. Im 17. Jahrhundert setzte sich der 1925 heiliggesprochene Johannes Eudes in Frankreich für die Verehrung des Herzens Jesu in Gottesdiensten ein, der erste solche Gottesdienst fand 1672 statt. Gleichzeitig engagierte sich die französische salesianische Ordensfrau Marguerite-Marie Alacoque (1647–1690; 1920 heiliggesprochen) aufgrund von Visionen für das Erbauen und Benennen von Kirchen zur Ehre des Herzens Jesu und für dazu bestimmte Festtage, nämlich jeder erste Freitag im Monat und der zweite Freitag nach dem Fronleichnamsfest. 1856 führte Papst Pius IX. den zweiten Freitag nach Fronleichnam als Herz-Jesu-Festtag ein, seit 1890 ein Hochfest. Vor diesem historischen und theologischen Hintergrund wurde die Kirche in Zürich-Wiedikon dem Patronat des Herzens Jesu anvertraut und zu dessen Ehre, der Liebe Jesu Christi, erbaut. Bis heute wird an jedem ersten Freitag ein Gottesdienst zur Verehrung der Herzens Jesu gefeiert. In der Oberkirche ist Marguerite-Marie Alacoque im Apsisbild von Felix Baumhauer als zweite von links in schwarz-weisser Ordenstracht dargestellt. Für die Stadtpatrone: die Dominicusglocke (C, 2874 kg) Die Dominicusglocke ist die zweitgrösste im Turm und zeigt das Bild des heiligen Dominicus (1170-1221), der den Betrachtenden ein offenes Buch entgegenhält. Dominicus gründete 1215 in Toulouse den Dominikanerorden, den Orden der Predigerbrüder, um die römisch-katholische Lehre zu verbreiten. Auf der Glocke ist in Latein zu lesen: «Heilige Felix und Regula, Patrone der Stadt, betet, dass des wahren Glaubens Licht wieder allen leuchte. – Heiliger Dominicus, erbitte uns Glaubenstreue. Mich hat als Frucht unzähliger Mühen und Opfer Dominicus Marty 1928 gestiftet.» Die Heiligen Felix und Regula bezeugten und lebten nach der Legende ihren christlichen Glauben während der Christenverfolgung um 300 und starben den Märtyrertod in Zürich. In der Inschrift auf der Glocke spricht sie selbst und verrät, dass sie von Dominicus (Dominik?) Marty gestiftet worden ist. Für die Frauen: die Immaculataglocke (D, 1938 kg) Die Immaculataglocke ist die drittgrösste; auf ihr ist die Verkündigung Mariae dargestellt. Die Inschrift lautet: «Der Jungfrau der Jungfrauen zu Ehren gestiftet von den Jungfrauen der Herz Jesu Pfarrei. – Sei gegrüsst Du Gnadenvolle. – Und das Wort ist Fleisch geworden.» Der Name Immaculata (lat. für «unbefleckt») bezieht sich auf Maria, die Mutter Gottes als «Unbefleckte». Die Glocke ist von den «Jungfrauen» der Herz Jesu Pfarrei gestiftet. Die Jungfrauenkongregation in Herz Jesu Wiedikon war am 9. Oktober 1921 von Pfarrer Christian Herrmann als einer der ersten Vereine in der Pfarrei gegründet worden. Die Jungfrauen- (oder auch Marianische) Kongregation ist ursprünglich eine Gründung des Jesuitenpaters Jean Leunis 1563. Diese wurde von Papst Gregor XIII. 1584 bestätigt. In der Not: die Armenseelenglocke (F, 1119 kg) Die Armenseelenglocke ist die viertgrösste und trägt ein Bild mit dem heiligen Josef. Die Inschrift lautet in deutscher Übersetzung: «Erbarme dich, oh Herr, der armen Seelen. Des Todes stets gedenkend wirst du heilig leben. – Heiliger Josef, steh uns bei in letzter Not.» Mit «du» angesprochen ist wohl der Mensch, der hier an seine Sterblichkeit und Möglichkeit, «heilig» zu leben, erinnert wird. Angesprochen wird auch der biblische heilige Josef, der seine Verlobte Maria und den Gottessohn Jesus vor den Menschen und dem Tod beschützte, indem er seinen Träumen glaubte und danach handelte. Für die Jungen: die Georgiusglocke (G, 768 kg) Die Georgiusglocke ist die zweitkleinste und trägt ein Bild mit dem heiligen Georg. Im Bild sind die Worte «HEILIGER GEORG BESCHÜTZE UNS» zu erkennen. Die Inschrift lautet: «Ich künde die Ehre des heiligen Georgius, des Jugendpatrons und halte das Andenken an den Hochwürdigen Bischof Georgius wach. – Mich hat der treueste Wohltäter dieser Kirche gestiftet, Otto Studer-Muther von Escholzmatt.» Der heilige Georg gilt als Märtyrer, der während der Christenverfolgung um 300 starb. Der Legende nach besiegte er einen zerstörerischen, todbringenden Drachen mit der Lanze, Symbol für das Böse. Georgius war auch der Vorname des Churer Bischofs, der die Glocken in Herz Jesu Wiedikon 1928 weihte. Die Kleinste: die Schutzengelglocke (B, 453 kg) Die Schutzengelglocke ist die kleinste im Geläute von Herz Jesu. Auf ihrer einen Seite ist ein Bild mit einem Kind und einem Engel und die Inschrift in Deutsch «GESTIFTET VON DEN 1100 SCHULKINDERN DER HERZ JESU PFARREI 1926-1928» zu erkennen. Auf der anderen Seite ist Jesus als Kind abgebildet mit der Inschrift «O DU LIEBES JESUSKIND, GIB, DASS MIT DEN ENGELN DROBEN WIR DICH UND DEINE MUTTER LOBEN». Der theologische Bezug zum Schutzengelglauben liegt im biblischen Matthäusevangelium 18,10, wo Jesus ein Kind in die Mitte der versammelten Jünger stellte und ihnen sagte: «Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.» Die «Kleinen» und «ihre Engel»: Den Menschenkindern werden hier Engel zugeordnet. Altkirchliche Autoren fanden hier das seit der Antike bekannte Verständnis bestätigt, dass jeder Mensch einen persönlichen Schutzgeist hat, einen «genius». So klingen die Glocken in Herz Jesu Wiedikon heute:
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