Am 16. Juni feiert die Kirche Herz Jesu Wiedikon ihre Orgel. Sie ist neu und doch alt. – Und klingt so schön wie noch nie zuvor. Ein Werkstattbericht über den schweizweit einzigartigen, nachhaltigen und aufwändigen «Technischen Orgelneubau». «Unsere neue Orgel wird intoniert und gestimmt. Diese Arbeiten benötigen absolute Stille in der Kirche!», liest man in den ersten Maiwochen beim Betreten der Herz-Jesu-Kirche Wiedikon und hört sogleich, was gemeint ist. Ein schriller Pfeifton, langanhaltend, dazwischen eine Stimme. Dies gehe nun schon seit vier Wochen so, erklärt der Orgelbauer Andreas Metzler, wobei eine Woche aus 55 Arbeitsstunden bestehe. Andreas Metzler, Mitinhaber der Traditionsfirma Metzler Orgelbau AG Dietikon, und sein Mitarbeiter Roland Koch haben während dieser Zeit die rund 2600 Pfeifen je zwei- bis dreimal in den Händen gehalten und mit Schleifwerkzeug und Hämmerlein bearbeitet. Zum einen stimmten sie dabei die Pfeifen auf die richtige Tonhöhe. Zum anderen arbeiteten sie an der Intonation: Sie stimmten die Lautstärke und Klangfarbe jedes Tons innerhalb des jeweiligen Registers auf den Kirchenraum ab und achteten dabei zugleich auf ein möglichst präzises Ansprechen der Pfeife ohne Nebentöne. Orgelbauer Andreas Metzler beim Stimmen und Intonieren der Orgel. Tonaufnahme: Carol Nater-Cartier. Nachhaltigster Orgelneubau Doch zurück zu den Projektanfängen. Bevor Andreas Metzler vor Ort mit dieser Geduldsarbeit beginnen und das Orgelprojekt zum Abschluss bringen konnte, vergingen unzählige Stunden Planungs- und Vorbereitungsarbeiten. Dazu gehörten auch die Untersuchungen von Christoph Metzler. Seit 2021 hat er das Orgelprojekt in der Kirche Herz Jesu Wiedikon als Projektleiter und Bauherrenberater begleitet. Die 1995 gegründete Firma des gelernten Orgelbauers hat sich auf die Ausschreibung von Arbeiten an Orgeln im Bereich des Vergabe- und Baurechtvertragsrechts – sogenannte Orgelsubmissionen – spezialisiert. Wenn bei einer Kirchenrenovation auch eine Orgel von den Umbaumassnahmen betroffen ist, bietet er Hand. Dabei legt er grossen Wert auf Nachhaltigkeit und ein faires Vergabeverfahren: «Es lohnt sich abzuklären, inwiefern Teile der bestehenden Orgel wieder verwendet und aufbereitet werden können, bevor man sich für ein komplett neues Instrument entscheidet», sagt er. Die Erstellung eines Orgelnutzungskonzeptes hilft dabei. Schweizweit einzigartig In einem komplexen Vergaberechts-Auswahlverfahren für den Technischen Orgelneubau der Kirche Herz Jesu Wiedikon setzte sich die Firma Metzler Orgelbau AG aus Dietikon durch. «Ihr Konzept überzeugte die Jury am meisten», sagt Christoph Metzler zum Vorschlag der Firma seiner beiden Cousins Andreas und Mathias. Eines der Projektziele sah vor, das dritte Manual (das Schwellwerk), das sich seit dem Einbau der Orgel 1947/48 im Kirchturm befand, neu zwischen den beiden ursprünglichen Orgelwerken auf der Orgelempore zu platzieren und den Spieltisch in die Mitte der Empore zu verschieben. Insgesamt 86 Prozent der Pfeifen wurden erhalten, ebenso ein grosser Teil der Blasbälge sowie die Gehäuseelemente. «Dieses Vorgehen erklärt den Begriff des Technischen Orgelneubaus», erklärt Christoph Metzler. «In diesem Sinne steht die Orgel in der Herz Jesu Wiedikon schweizweit für einen Paradigmenwechsel im Hinblick auf Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit im Orgelbau». «Back to the roots» Neu hingegen ist die Spielmechanik: Während früher der Ton durch eine elektropneumatische Technik ausgelöst wurde, ist die Ansprache des Tons heute rein mechanischer Natur. Dies erlaubt dem Organisten eine viel feinere Spielweise. Guido Keller, Hauptorganist an der Herz-Jesu-Kirche Wiedikon seit 2006, ist begeistert: «Es ist ein riesiger Unterschied zu früher!» Die neue mechanische Traktur sei viel genauer und direkter. «Sie funktioniert jetzt perfekt, es ist viel weniger streng und man hat einen schönen Druckpunkt – das bedeutet, man merkt die Auslösung des Ventils am Finger.» Die Traktur vorher sei sehr schlecht gewesen und habe viel Ärger bereitet. Die neue mechanische Traktur ist aber eigentlich die ursprüngliche Technik. Sie wurde 19. Jahrhundert durch das pneumatische System ersetzt. Im 20. Jahrhundert entstanden erst elektropneumatisch und später auch elektrisch gesteuerte Orgeln. Seit den 1960er-Jahren baut man vor allem im deutschen Sprachgebiet wieder fast ausschliesslich Orgeln mit mechanischer Spieltraktur, da die elektropneumatische Technik zu störungsanfällig war. Wunderbare Schreinerarbeiten «Mit dem Technischen Orgelneubau haben wir heute ein Instrument für die nächsten 200 bis 300 Jahre», sagt Christoph Metzler stolz. Komplett neu sind der Spieltisch und die Holzverkleidung aus edlem Waldkirschbaumholz. Er fährt behutsam über das Kirschbaumholz und schwärmt: «Schauen Sie sich mal dieses Türli an, so eine wunderbare Schreinerarbeit – wo gibt es denn noch so was! Und diese Farbe: einfach genial!» Der freistehende Spieltisch mit den drei Manualen à je 56 Tasten besitzt 41 eigene Register mit verschiedenen Klangfarben (Flöten, Trompeten, Flageolet, Streicher usw.). «Wenn ich ein Stück nach Noten spiele, kann ich die Abfolge der Register im Voraus programmieren», sagt der Organist Guido Keller. Bei den Messen improvisiere er aber lieber, verrät er: «Das erlaubt mir, viel direkter auf die Worte des Pfarrers und die Stimmung zu reagieren.» Das gehe jetzt, wo der Spieltisch so steht, dass er Augenkontakt zur Apsis hat, noch viel besser als zuvor. «Es hät gfägt!» Der Orgelaus- und Wiedereinbau musste eng auf die gesamte Kirchenrenovation abgestimmt werden. «Das Projekt hat viel Energie und Zeit gebraucht, und nicht immer ist alles reibungslos verlaufen.» Die Zusammenarbeit mit der Baukommission und den Architektinnen habe ihm aber gefallen: «Es hät richtig gfägt!», sagt Christoph Metzler. Nach fünf Wochen Intonations- und Stimmarbeiten sind die Verantwortlichen jetzt zufrieden. Das war Ende April noch anders: «Das erste Spielen auf der neuen Orgel war ein Schock», erinnert sich Guido Keller. «Es war alles viel zu laut.» Seit der Orgelbauer sukzessive den Winddruck zurückgenommen habe, sei der Klang von Woche zu Woche besser geworden, «brillianter, symphonischer und farbiger». Und Christoph Metzler ergänzt: «Jetzt kann es die Orgel in Herz Jesu Wiedikon sogar mit der Orgel in St. Agatha in Dietikon aufnehmen!» Die Experten lachen: Die St. Agatha-Orgel, an welcher der Orgelexperte Bernhard Hörler wirkt, gilt unter ihnen als das «Mass aller Dinge». Die Verantwortlichen sind nach fünf intensiven Wochen Intonations- und Stimmarbeiten sehr zufrieden mit dem Klang. Video: Carol Nater Cartier. Erhabener Klang Die Verantwortlichen für den Technischen Orgelneubau haben also ihr ehrgeiziges Ziel erreicht. Die Erleichterung darüber sieht man ihnen förmlich an. Guido Keller setzt sich an den Spieltisch, drückt ein paar Tasten und bringt Akkorde zum Klingen. «Es ist ein sehr erhabenes Gefühl, auf dieser neu gebauten Orgel zu spielen», meint er glücklich. Er wird sich in den nächsten Wochen bis zur offiziellen Orgeleinweihung am 16. Juni noch oft auf die Empore begeben, um «seine» technisch neugebaute Orgel besser kennenzulernen. Noch kann er es kaum glauben: Schon als er die Stelle als Hauptorganist in Herz Jesu Wiedikon angetreten hat, war von einer neuen Orgel die Rede. Achtzehn Jahre später ist dieses Versprechen endlich in Erfüllung gegangen. Guido Keller macht sich mit der neuen Spieltechnik vertraut und testet den Sound. Video: Carol Nater Cartier.
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«Chris und Chris», die beiden guten Seelen der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon, haben die Renovierung beider Kirchen der Gemeinde, der Ober- wie der Unterkirche, hautnah miterlebt. Im Interview blicken sie zurück auf die zweijährige Umbauphase und gewähren einen Blick hinter die Kulissen. «Jetzt ist sie unter uns und schaut zu uns», sagt Hauptsakristan Christopher Albrecht glücklich und zeigt auf die barocke Marienstatue in der Ecke rechts vom Altar in der Unterkirche. Er und Christa Küchler, Leitungsassistentin des Gemeindeleiters und der Kirchenpflege, können heute darüber lachen, wenn sie an das Missverständnis rund um die Aufstellung der Maria zurückdenken. Noch vor einer Weile war niemandem zum Lachen zumute: Die Marienstatue war nach der Renovierung des Kirchenraums so angebracht worden, dass ihre Augen desinteressiert am Kirchenvolk vorbeiblickten. Nach den ersten Gottesdiensten nach der Wiedereröffnung hagelte es Kritik von den Kirchenbesuchenden, die in erster Linie bei Christa Küchler und Christopher Albrecht deponiert wurde. Ihnen kommen Lob oder Missfallen aus der Gemeinde stets unmittelbar zu Ohren. Mittendrin – abwartend Im Kirchensekretariat bei Christa Küchler laufen während der Bauzeit die Fäden zusammen: Bauleitung, Architektinnen, Pfarrer, Handwerker, Kirchenbesuchende – Christa Küchler steht mit allen in Kontakt. Auch Christopher Albrecht ist als Hauptsakristan eine wichtige Ansprechsperson für viele. Er kümmert sich um infrastrukturelle und technische Anliegen, bereitet die Gottesdienste vor, sorgt für die Instandhaltung der Kirche und ist zuständig für den Garten und die Umgebungsarbeiten. Für den Umbau lieferten die beiden der Baukommission und den Architektinnen wichtige Inputs aus dem Betrieb: «Wir wurden vom Gemeindeleiter Arthur Czastkiewicz auf dem Laufenden gehalten und wo nötig miteinbezogen», erzählen sie. «Es war eine intensive Zeit», meint Küchler rückblickend. «Ich habe in diesem Umbauprozess gelernt, nicht immer gleich alles zu hinterfragen, sondern einfach mal abzuwarten. Das war aber nicht immer einfach!», sagt sie rückblickend und Christopher Albrecht pflichtet ihr bei. Schreckensmoment mit dem Bischof Seinen grössten Schreckensmoment erlebte Christopher Albrecht an der feierlichen Wiedereröffnung der Oberkirche am 7. April 2024, als zwanzig Minuten vor Beginn des Gottesdienstes die gesamte Soundanlage inklusive Mikrophone und Liederanzeige ausstiegen. «Der Bischof war da! Es war extrem peinlich. Ich musste jedes Mikrophon manuell ansteuern und zwischen Schalttisch und Sicht auf das Geschehen hin- und herrennen.» Nur wer es gewusst habe, hätte die leichten Verzögerungen im Ton bemerkt, meint er. «Aber ich war kreidebleich und zugleich rot vor Anstrengung», sagt er und kann jetzt darüber lachen. Gelungenes und weniger Überzeugendes Neben der neuen Technik, die noch nicht in allen Details einwandfrei funktioniert, geben die neuen modernen Beichtzimmer ohne Beichtstühle zu reden. Christa Küchler und Chris Albrecht ist das Beichtzimmer in der Unterkirche zu eng. Da gefällt ihnen das geplante Beichtzimmer in der Oberkirche viel besser, allerdings sei dieses noch nicht fertig. «Es wird nicht nur ein Beichtzimmer, sondern auch ein Gemeinschaftsraum sein, in dem man zum Heiligen Antonius beten kann – der ist ja dort drin», erklärt Albrecht. Er wird den Raum dann je nach Gebrauch anders einrichten müssen. «Ich bin gespannt, wie er schliesslich genutzt werden wird.» Im Verlauf des Gesprächs ist immer wieder vom Licht die Rede. Christa Küchler und Chris Albrecht loben das Spiel mit Licht und Schatten in beiden Kirchenräumen und heben den gelungenen Lichteinfall in der Unterkirche hervor. Doch an die neue Lichtsteuerung hätten sie sich noch etwas zu gewöhnen – diese leide aktuell noch an Kinderkrankheiten. Gewisse Lampen können im Moment nicht ausgeschaltet werden. So brennt zum Beispiel im Turm und auf der Empore permanent Licht und gewisse Lampen lassen sich noch nicht wie geplant individuell regulieren. «Dafür kann ich die Lichtanlage von meinem Handy aus steuern», erzählt Chris Albrecht grinsend und demonstriert dies voller Stolz in der Marienkapelle. Das ewige Licht! In der Unterkirche beleuchtet ein Spot eine weisse Seitenwand. Fehlt hier noch ein Bild? Nein, hier habe für kurze Zeit ein Steintisch gestanden, «wunderschönes Design, im Stil eines Altars», sagt Christa Küchler. Doch leider war er ungeeignet für den vorgesehenen Zweck als Zeichentisch für Kinder. «Das war bei ein paar Dingen so: Es sieht zwar schön aus, ist aber halt einfach nicht so praktisch», ergänzt der Sakristan. Bis eine bessere Lösung für den Kindertisch gefunden ist, gibt man sich mit Sitzkissen zufrieden. Doch zurück zum «ewigen» Licht, da gebe es nämlich noch eine lustige Geschichte, bemerkt Chris Albrecht. «Lustig? Eigentlich eher traurig», widerspricht ihm Christa Küchler. Das Gehäuse des «Ewigen Lichts», das vor der Renovierung in der alten Oberkirche dauerhaft vor dem Tabernakel brannte, schlummert noch immer im Depot und fehlte deswegen auch an der feierlichen Wiedereröffnung. Dies dürfte aber zum Glück kaum jemandem aufgefallen sein. Und es soll demnächst zurückgeholt werden. Immer wieder Maria Auf die Frage, wo sich denn ihre Lieblingsstelle in den neuen Kirchenräumen befinde, müssen Christa Küchler und Christopher Albrecht nicht lange überlegen: Beide nennen die neue Marienkapelle. Hier fühlen sie sich wohl. Ihnen gefällt, dass kein Altar mehr den Platz versperrt und dass die moderne Marienstatue aus Holz so schön zur Geltung kommt. Auch die renovierten bunten Glasfenster und den Faltenwurf aus Stein – eines der neuen Werke des Künstlers Karsten Födinger in der Oberkirche – finden sie sehr gelungen. Hier kommt man zur Ruhe, da sind sich beide einig. Gutes Ende in der Unterkirche
Und wie endete eigentlich die Geschichte mit der Marienskulptur in der Unterkirche? Es dauerte noch einmal rund zwei Wochen, bis sie wieder «unter uns» war, erzählen Christa Küchler und Christopher Albrecht. Die Verkabelung des Alarms musste aus der Wand gespitzt und der Sockel neu positioniert werden, bevor Maria ihre Augen zum Kirchenvolk richten konnte. Gewisse Dinge benötigen einfach ihre Zeit. Und so wird es auch noch ein bisschen Zeit brauchen, bis sich Christa Küchler und Christopher Albrecht an alle neuen betrieblichen Abläufe gewöhnt haben. Dass die frisch renovierte Oberkirche aber bereits ihre Herzen erobert hat, ist deutlich zu spüren. |
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September 2024
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