Auf 101 Jahre Geschichte kann die Pfarrei inzwischen zurückblicken. Das Jubiläum haben wir mit einer Serie von Blogbeiträgen begleitet. Mit einer Film-Trouvaille aus dem Pfarreiarchiv – sie enthält Sequenzen aus den 1930er-Jahren – verabschieden wir uns von Ihnen. Über ein Jahr haben wir nun Archive durchforstet, mit Personen gesprochen und das 100-Jahr-Jubiläum mit diesem Blog begleitet. Mit einigen filmischen Trouvaillen – unseren Lieblingsstücken – aus dem Pfarreiarchiv Herz Jesu Wiedikon möchten wir uns nun von Ihnen verabschieden. Die Filme entstanden zwischen 1930 und 1938 und geben einen Einblick in das Zürich dieser Zeit, insbesondere in die katholische Diaspora rund um Herz Jesu Wiedikon. In einer ersten Sequenz sehen Sie Ausschnitte aus dem Film «Aus Zürichs Diaspora», der um 1937 entstand. Nach einem Überblick über die Stadt Zürich folgen Ansichten der römisch-katholischen Kirchen der Stadt in der Reihenfolge des Baujahres (Liste der Kirchen siehe ganz unten). Sie beginnen mit Ansichten der Kirche St. Peter und Paul aus dem Jahr 1874 und enden mit der sich im Bau befindenden Erlöserkirche Riesbach. Die zweite Sequenz zeigt kirchliche Handlungen in der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon. Auf Vorbereitungen zu einer Primiz – zur ersten heilige Messe, der ein neu geweihter Priester vorsteht, – folgt eine Priesterweihe. Danach sind Pfarrer und Vikare von Herz Jesu zu sehen, so der erste Pfarrer Christian Herrmann. Diese Aufnahmen dürften zu den ältesten der Pfarrei gehören und sind vor 1934 entstanden. Es folgen Aufnahmen einer Erstkommunion am Weissen Sonntag, geleitet von Pfarrer Benjamin Simmen und schliesslich eine Fronleichnamsprozession durch das Quartier. Zuletzt tauchen wir in das Freizeitprogramm der Vereine rund um Herz Jesu Wiedikon der 1930er-Jahre ein. Die Pfadfinder marschieren mit Trommeln und Fahnen durch die Aemtlerstrasse, und ausgelassene Mädchen toben in den Ferien über Schneefelder in den Bergen. Abschliessend möchten wir Ihnen für Ihr Interesse und Ihr Mitwirken danken. Die Arbeit an der Geschichte von Herz Jesu Wiedikon war interessant und inspirierend. Sie hielt neben dem ungewöhnlichen Filmfund einige Überraschungen und spannende Einsichten bereit: Ein vielfältiges Pfarreileben durch Missionen, Vereine und Kulturangebote, eine Orgel im Turm und viele engagierte Personen, die bereit waren, Auskunft zu geben und mitzuwirken. Wir wünschen der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon alles Gute! Annina Sandmeier-Walt & Ruth Wiederkehr Liste der Kirchen nach Baujahr (Sequenz 1)
1874 St. Peter und Paul 1893 Herz Jesu Oerlikon 1894 Liebfrauen 1908 St. Anton 1914 St. Josef 1921 Herz Jesu Wiedikon 1923 Guthirt 1928 St. Franziskus 1933 Bruder Klaus 1933 St. Theresia 1935 Maria Lourdes 1937 Erlöser (im Bau)
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Als die Wiediker Katholiken vor 101 Jahren ihre neue Pfarrei Herz Jesu weihten, lagen sie im Trend. Die Herz-Jesu-Verehrung erlebte damals ihre Blütezeit – auch im Kanton Zürich. Ihre Kernbotschaft scheint zeitlos und wird in Wiedikon auch heute noch gelebt. Die Verehrung des Herzens Jesu gab es bereits im Mittelalter, für eine breite Verbreitung dieser Frömmigkeitsform sorgten aber die Jesuiten im frühneuzeitlichen Frankreich. Dort soll die Nonne Margareta Maria Alacoque im 17. Jahrhundert Visionen gehabt haben. Jesus persönlich soll sie aufgefordert haben, die Verehrung seines Herzens zu verkünden und hierzu ein besonders Fest zu etablieren. Die Jesuiten nahmen dieses Anliegen auf und begannen die Herz-Jesu-Verehrung insbesondere durch ihre Volksmissionen zu verbreiten. 1856 nahm Papst Pius IX. das Fest zu Herz Jesu in den liturgischen Weltkalender auf, seit 1899 gilt es als «Hochfest des Herrn», wie Ostern und Pfingsten – und ist auf den dritten Freitag nach letzteren angesetzt. Margareta Maria Alacoque wurde 1864 selig- und 1920 heiliggesprochen. Dies, die Gründung von Gemeinschaften wie die der Herz-Jesu-Priester sowie das von den Jesuiten initiierte Gebetsapostolat zu Herz Jesu – ein Verein zur täglichen Gebetspraxis – gab dieser Verehrung weiteren Aufwind. Ein Trend in Zürichs Diaspora Es war der Pfarrer von St. Peter und Paul, Johann Baptist Hildebrand, der 1915 die Idee hatte, in Wiedikon eine Herz Jesu Pfarrei zu errichten. «In einer Zeit des herzlosen Materialismus, wo Korruption, Gewalt und Mord herrschten, da wollte er ein Gotteshaus bauen, das dem Geheimnis der göttlichen Liebe, dem Herzen des Welterlösers geweiht sein sollte», ist dazu in der Pfarreichronik von Herz Jesu zu lesen. In den darauffolgenden Jahren war Pfarrer Hildebrand sehr bemüht, den Kirchenbau mittels der Sammlung von Spenden zu realisieren. Doch starb er 1919, bevor er sein Projekt, «sein grösstes Lebenswerk», wie es in einem Nekrolog heisst, beenden konnte. Noch in seinen Fieberträumen vor seinem Tod soll er von der Herz Jesu Kirche gesprochen haben. Am 15. Juni 1921 schliesslich errichtete das Bischöfliche Ordinariat die Pfarrei Herz Jesu Zürich-Wiedikon und am darauffolgenden 26. Juni fand die Einsegnung der Kirche statt. Im Kanton Zürich gab es zu dieser Zeit bereits zwei Herz Jesu Kirchen: eine in Uster (1884) und eine in Oerlikon (1893). Der Trend hielt an: nach Wiedikon folgten 1934 noch Winterthur und Turbental. Allgemein in der Schweiz, insbesondere aber in Deutschland und auch Österreich, gab es damals zahlreiche Herz-Jesu-Gründungen. Gegen Säkularismus und Materialismus Die Verehrung des Herzen Jesu hatte konkrete Bedeutungen: In der römisch-katholischen Spiritualität ist das Herz von Jesus Christus ein Symbol seiner Liebe und wird als solches verehrt. Das im Prozess der Kreuzigung durchbohrte Herz von Jesus gilt als Quelle der Sakramente, wie die Präfation – das Eingangswort – der entsprechenden Votivmesse zeigt: Aus seiner geöffneten Seite strömen Blut und Wasser, aus seinem durchbohrten Herzen entspringen die Sakramente der Kirche. Das Herz des Erlösers steht offen für alle, damit sie freudig schöpfen aus den Quellen des Heiles. Die Förderung der Verehrung des Herzens Jesu in der Zeit des Kulturkampfes Ende des 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam nicht von ungefähr und hatte auch eine politische Dimension: Sie diente der Kirche im Kampf gegen den Verlust der weltlichen Macht und befeuerte ihre Opposition gegen Säkularismus und Materialismus. Emotionale Attribute wie Liebe, Hingabe und Demut waren Kontrapunkte zur technischen Moderne und Aufklärung. Das Herz trotzte so dem Kopf als Sinnbild des Intellekts und der Wissenschaft. In der Zürcher Diaspora verkörperte das Herz Jesu Wärme und Heimat in einer als feindlich empfundenen Umgebung. Und heute?
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts flachte der Kult um das verehrte Herz ab. Doch ist die Bedeutung von Herz Jesu heute gänzlich obsolet geworden? Im Gegenteil, meint Diakon Ronald Jenny: «Liebe und Barmherzigkeit sind unser Herzstück und unser Leitfaden durch das liturgische und pastoral-diakonische Jahr.» Es geht dabei nicht um eine «süssliche, abgehobene Herz-Jesu Frömmigkeit, sondern um eine Vision und Passion». Im Zentrum stehen, so Jenny, das Mitgefühl und die Achtsamkeit. Dies bedeute, «dass wir den Menschen mit dem Herzen und aus dem Herzen Jesu begegnen. Dass wir einander anschauen mit den Augen Jesu. Dass wir einander zuhören mit den Ohren Jesu. Und dass wir einfach da sind, absichtslos.» Vor genau hundert Jahren waren in Herz Jesu Wiedikon erstmals Orgelklänge zu hören – direkt aus dem Turm. Hier hatte der Instrumentenbauer nämlich alle Pfeifen installiert. Auf der Empore war es schlicht zu eng dafür. Bis heute ist ein Drittel der heutigen Orgel im Turm versteckt. Das ändert sich aber beim grossen Umbau 2023. Die Katholikinnen und Katholiken von Wiedikon bauten ihre Kirche im Eilzugstempo: Im Frühling 1920 war Spatenstich, am 26. Juni 1921 segnete der Bischof von Chur, Georg Schmid von Grüneck, die Kirche Herz Jesu Wiedikon ein. Möglich war diese Leistung auch dank freiwilligem Einsatz von Menschen aus Wiedikon, die so dringend ihre eigene katholische Kirche haben wollten. Im Sommer 1921 fehlten aber noch zwei für Kirchen wichtige Bestandteile: die Glocken – und eine Orgel. Moderne Klangfarben» Eher schon als die Glocken, die erst 1928 in den Turm hochgezogen wurden, erhielt Herz Jesu Wiedikon aber eine Orgel. Und weil auf der kleinen Empore kaum Platz vorhanden war, um ein Orgelwerk zu installieren, tüftelte die Orgelbaufirma Mönch aus Überlingen eine aussergewöhnliche Lösung aus: Sie installierte das Orgelwerk im Turm der Kirche. Durch eine Schallöffnung gelangte der Ton in den Kirchenraum. Der Organist sass auf der Empore an seinem Spieltisch und zog von hier aus die Register im Turm. Die Platzierung der Orgel scheint auf den Klang allerdings keinen negativen Einfluss gehabt zu haben. Am 1. Juli 1922 – also vor ziemlich genau hundert Jahren – verfasste der Orgelspezialist Alphons Häringer sein Gutachten über das Instrument und lobte die «modernen Klangfarben & Klangcombinationen». Er schloss die ausführliche Dokumentation der Disposition mit diesen Worten, die zeigt, wie sehnlichst die Orgel erwartet worden war: Wir gratulieren der löbl. Pfarrgemeinde sowie dem Orgelbauer O. Mönch aufs herzlichste zu diesem vollkommenen Orgelwerk [...]. Dieses Werk ermögliche, dass manch laue[r] Katholik, dem die kath. Religion im Trubel der Großstadt und den gegenwärtigen Wirrnissen unserer Zeit abhanden gekommen [ist], sich wieder dem schmucken Gotteshause [zuwenden kann]. Das Werk sei zudem im Stande [...], de[m] erhabenen Gottesdienst jene Schönheit und Feierlichkeit zu verleihen, die das Herz erhebt und den Sinn bewegt, sie haben eine Orgel, die die Größe und Majestät Gottes durch die Gewalt ihrer Töne verkündet und der Erhabenheit unserer Liturgie entspricht. Die von Häringer beschriebene Erhabenheit der Orgel ist es, die Guido Keller, Hauptorganist in Wiedikon seit 2006, in seinem Beruf bis heute begeistert: «Man hat eine unglaublich grosse Gestaltungsfreiheit», sagt er. Bereits sein Vater und sein Grossvater waren Organisten und so hat der Uznacher schon als 14-Jähriger begonnen, in verschiedenen St. Galler Pfarreien zu spielen, noch bevor er seine Studien in Winterthur und Basel abschloss. Seit 2006 ist Keller Hauptorganist in Herz Jesu Wiedikon. «Ich habe immer die grossen Räume wie die Kirche Herz Jesu gesucht», erzählt er, der das Wechselspiel von Raum und Akustik liebt. Zusammen mit dem Zürcher Organisten Bernhard Hörler und dem Orgelbauer Christoph Metzler hat er im Hinblick auf die baldigen Umbauten in der Kirche die Geschichte der Orgel von Herz Jesu Wiedikon genau untersucht. «Wir alle waren überrascht, von der Turmorgel zu erfahren.» Von einem solchen Bau hatte noch keiner der Spezialisten je gehört. Eine neue, romantische Orgel Die Orgel von 1922 muss den Kirchengängerinnen und -gängern in den 1940er-Jahren nicht mehr gefallen haben. Ab 1946 konnten Gemeindemitglieder einzelne Orgelpfeifen spendieren, wie Karten einer Orgelpfeifen-Stiftung im Archiv belegen. Die Gemshörner im 1. Manual etwa waren für 14 und 15 Franken zu haben. Im März 1947 konnte die Männedorfer Orgelbaufirma Kuhn engagiert werden und im September 1948 feierte Herz Jesu Wiedikon den Einbau seiner zweiten Orgel mit viel Orgel-, Orchester und Chormusik. Diese Orgel ist das Instrument, das bis heute in der Kirche verbaut ist. Der Einsiedler Pater Stefan Koller, ein berühmter Organist, verfasste das Gutachten und lobte die romantische Stimmung der Orgel, die Materialität. Klangästhetisch sei «ein Werk entstanden, das hohe Ansprüche zu befriedigen» vermöge. Zwar mussten beim Bau einige Kompromisse eingegangen werden: Weil die West- beziehungsweise Rückwand der Kirche zwei zentrale Fenster hat, baute die Firma Kuhn die Orgel zweiteilig, ein Werk links, eines rechts der Fenster. Und das dritte Werk, das Schwellwerk, wurde in den Turm verlegt, damit Sängerinnen, Sänger und ein Orchester auf der Empore Platz fanden. Erst wenige Jahre später wurde sie auf die heutige Grösse erweitert. Je nach Lamellenöffnung tönt es lauter oder etwas gedämpft. «Die Orgel kann sehr mächtig klingen», sagt Keller. Er müsse gut darauf achten, dass er sie nicht zu laut spiele. Auch für Aufnahmen eignet sich die «Universalorgel», wie eine Reihe von öffentlich zugänglichen Aufnahmen zeigt. Technischer Neubau der Orgel geplant Eine Orgel braucht regelmässige Pflege – und einen Orgelbauer, der das Instrument genau kennt. Schon 1948 schloss das Pfarramt deshalb einen Stimmvertrag mit der Orgelbaufirma Kuhn ab. Seit den 1990er-Jahren ist Christoph Metzler aus Dietikon für das Instrument in Herz Jesu Wiedikon zuständig. Neben mehreren Besuchen jährlich, um die Orgel zu stimmen, hat er auch schon zwei Gesamtrevisionen durchgeführt: Dabei werden alle Pfeifen ausgebaut, gereinigt, bei Bedarf geflickt und wieder eingebaut. Das Projekt, die Kirche Herz Jesu Wiedikon nun einer grundlegenden Sanierung zu unterziehen, wird bald auch die Orgel betreffen. Das Schwellwerk soll aus dem Turm geholt werden und unterhalb der Fenster eingebaut werden. Zudem wird der Spieltisch von der Wand weg in die Mitte der Empore verlegt – an den üblichen Ort für eine Orgel. Und schliesslich soll die Empore etwas vergrössert werden. «So haben Musikerinnen und Musiker alle genügend Raum», sagt Keller. Er freut sich auf die neue Orgel: «Sie wird dann noch besser klingen», ist er überzeugt. Die Bevölkerungsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg regte Pfarreien in Zürich zum Ausbau ihrer Räumlichkeiten an. Auch die Errichtung einer katholischen Schule in Wiedikon war ein altes Postulat und schien vordringlich. Ab 1966 setzte Herz Jesu Wiedikon die lang ersehnte Schule gemeinsam mit der Unterkirche und einem Pfarreizentrum in einem Grossbauprojekt um. Die Zahl der Zürcher Katholikinnen und Katholiken stieg zwischen 1950 und 1970 um über 40 Prozent auf 167 374 an. Herz Jesu Wiedikon war die mit Abstand bevölkerungsreichste Pfarrei der Stadt und zählte zu Spitzenzeiten in den 1950er-Jahren bis zu 20 000 Mitglieder. Diese mussten in Seelsorge und Bildungsstrukturen integriert werden. Bereits die Mutterpfarrei St. Peter und Paul hegte zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Plan, eine Schule zu erbauen, nutzte aber dann die finanziellen Möglichkeiten, um die Pfarrei Herz Jesu zu gründen. Diese erhielt im Gegenzug dann den Auftrag, dereinst eine Schule zu errichten. Der erste Pfarrer, Christian Herrmann, legte 1923 mit einer Einlage von 50 Franken einen Schulfonds an und regte seine Gemeinde an, «dafür zu beten, dass die Frucht in 50 Jahren reifen möge». Fortan wurde in der Kirche mit entsprechenden Opferbüchsen für die katholische Schule gesammelt. Stiftung und Sammelaktionen 1952 gründeten die Pfarrer von Herz Jesu Wiedikon und Liebfrauen gemeinsam mit dem Präsidenten des Katholischen Schulvereins, Robert Hery, und der Generaloberin der Ingenbohler Schwestern, Sr. Diomira Brandenberg, die «Maria-Theresia-Stiftung» – benannt nach der ersten Ingenbohler Generaloberin Maria Theresia Scherer. Zweck der Stiftung war es, auf dem linken Limmatufer Zürichs Liegenschaften zu kaufen, um Schulen einzurichten. Ebenfalls sollte eine Mädchen-Sekundarschule mit Ingenbohler Lehrschwestern entstehen. Über die Jahre kamen bei Sammlungen zum Beispiel an einem Schulbasar im Kongresszentrum, aber auch mit Bettelbriefen, Bausteinaktionen und Vergabungen, 1,3 Millionen Franken zusammen. Doch es fehlte an Bauland im Quartier und so beschloss die Pfarreileitung, die Schule innerhalb des Pfarreigeländes als Teil eines Pfarreizentrums zu bauen. 1960 meldeten sich mehrere Architekten auf die Ausschreibung. Der Zürcher Rudolf Mathys wurde von der Baukommission mit der Ausarbeitung des Vorprojekts beauftragt und erhielt schliesslich den Zuschlag. Grossbauten erst nach der Anerkennung Die Sammlung der Mittel bildete den finanziellen Grundstein. Doch erst die öffentlich-rechtliche Anerkennung der römisch-katholischen Kirchgemeinden 1963 machte es möglich, den Bau von Schule und Pfarreizentrum zu realisieren. Nach eingehenden Beratungen durch den Stadtverband der Römisch-Katholischen Kirchgemeinden erhielt Herz Jesu Wiedikon den notwendigen Kredit für den Bau einer Unterkirche, des Pfarrhauses, von Vereinslokalitäten und einer Unterflurgarage. Sie sponserte auch einen Beitrag von 300 000 Franken zur Totalrenovation der Herz Jesu Kirche. Drei Bauverantwortliche waren involviert: Die Stiftung Herz Jesu Kirche als Besitzerin der Grundstücke, der Kirche und der Saal- und Wohnbauten, die römisch-katholische Kirchgemeinde Herz Jesu Wiedikon für die Unterkirche, das Pfarrhaus, zwei Kindergärten, Wohnungen und Garage sowie der Katholische Schulverein Zürich für Schulhaus und Turnhalle. Im Frühjahr 1964 startete dann der Betrieb einer Mädchenschule mit einer ersten Sekundar- und Realklasse in provisorischen Pavillons auf dem Pfarreigelände. Später verlegten die Verantwortlichen die Schule nach Schwamendingen – der Baulärm war zu gross. Der Spatenstich für das Pfarreizentrum erfolgte am 28. Dezember 1966. 1968 schliesslich begann der Bau des Schulhauses für 300 Kinder an der Aemtlerstrasse. Zank um die konfessionelle Schule Der Bau katholischer Schulen erregte in Zürich in den ausgehenden 1960er-Jahren Diskussionen. Die Volksschule als Ort konfessionsneutraler Bildung, wie es die liberale Mehrheitsgesellschaft im Kanton Zürich seit dem 19. Jahrhundert durchsetzte, war dem konservativen katholischen Bevölkerungsteil lange ein Dorn im Auge. Sie sahen eine religiös geleitete Erziehung als Gebot. Doch in den «Neuen Zürcher Nachrichten», der katholischen Tageszeitung Zürichs, wurden die konfessionsgebundenen Schulen durchaus kritisch hinterfragt. Waren diese wirklich noch notwendig und zeitgemäss? Die Pfarrer Rupert Blum von Herz Jesu Wiedikon und Hans Henny von der Liebfrauenkirche bejahten dies: «Unsere Schule schützt das Recht der Eltern, ihre Kinder nach ihrer Überzeugung erziehen zu lassen», meinten sie 1968 in einer gemeinsamen Schrift zum Schulhausbau. Blum und Henny waren sich sicher: «Im Sinne des Konzils erfüllt die Katholische Schule die grosse Aufgabe, eine Schulgemeinschaft zu schaffen, in welcher der Geist des Evangeliums, der Freiheit und der Liebe lebendig ist.» 1970 war der Ausbau von Schule und Pfarreizentrum beendet und konnte am 13. Juni feierlich eingeweiht werden. Folgender Stummfilm zeigt diesen Ausbau in Etappen – vom Beschluss bis zur Einweihung: 00:00 Intro
00:10 Sitzung Baukommission 01:50 Modell Pfarreizentrum 02:40 Erster Spatenstich am 28. Dezember 1966 03:22 Baubeginn 04:27 Abtransport Pavillons der Mädchenschule 07:33 Grossbaustelle I (Fundament) 12:07 Renovation Kirche 13:33 Grossbaustelle II 16:57 Sitzung 18:25 Grossbaustelle III 23:53 Rundumblick Baustelle und Aussenansicht 24:15 Neues kirchliches Zentrum und fertige Unterkirche 25:04 Malerarbeiten und Baustelle Schule 29:32 Aussenansicht fertige Bauten 30:35 Feierliche Einweihung Hinweise zu Personen und Ereignissen im Film sind willkommen! Bis in die 1960er-Jahre waren alle katholischen Pfarreien in Zürich auf freiwillige Beiträge ihrer Mitglieder angewiesen. Kirchensteuern gab es noch nicht, da die römisch-katholische Kirche im Kanton nicht als Körperschaft anerkannt war. Dies änderte sich erst 1963. In Wiedikon war dies der Startschuss für ein Grossbauprojekt. Bis 1963 waren Zürcher Pfarreien als Stiftungen organisiert und unterstanden wie Vereine dem Privatrecht. Die Pfarreien erhielten also keine Kirchensteuern, sondern konnten nur an ihre Mitglieder appellieren, damit diese ihre Kirche mit freiwilligen Abgaben unterstützten. Auch aus der inländischen Mission, die Unterstützung für die Diaspora bot, erhielten die Zürcher Pfarreien Beiträge. Die Pfarrer und die «Einzüger» waren daher regelmässig auf «Betteltouren», um grössere Vorhaben finanzieren zu können. So erging es auch Pfarrer Benjamin Simmen, der von 1934 bis 1954 in Herz Jesu Wiedikon als Pfarrer amtete. Er war gewissermassen Manager der Pfarrei und als solcher Präsident, Kassier sowie Verwalter in Personalunion. Zwar hatte er einen Kirchenrat an seiner Seite, dieser hatte jedoch keine Kompetenzen. 1947 wurde die «Römisch-katholische Pfarrkirchenstiftung Herz Jesu Kirche» gegründet, die Rechtsträgerin für das Vermögen der Pfarrei und ihre Liegenschaften wurde. Finanzielle Angelegenheiten konnten von nun an über den Stiftungsrat geregelt werden. Doch erst das Kirchengesetz von 1963 brachte Entspannung bei der Mittelbeschaffung, weil fortan der Staat Kirchensteuern für die römisch-katholische Kirche einzog. Der Weg zur öffentlich-rechtlichen Anerkennung war aber lang. Der bekannteste Zürcher Katholik war ein Wiediker An vorderster Front setzte sich der 1897 in Wiedikon geborene Alfred Teobaldi über Jahrzehnte für die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholischen Kirche im Kanton Zürich ein. Im Historischen Lexikon der Schweiz wird er als «wohl der bekannteste Zürcher Katholik des 20. Jahrhunderts» bezeichnet. Teobaldi prägte die Entwicklung der römisch-katholischen Kirche im Kanton wie kein anderer. Neben der kirchenpolitischen Tätigkeit und der Einigung der katholischen Bevölkerung setzte er sich für Bildungs- und Caritasanliegen sowie für die Spezialseelsorge in Heimen und Gefängnissen ein. 1956 wurde Teobaldi erster Generalvikar Zürichs, wobei das Generalvikariat auf seinen Wunsch hin auf dem Bühl in Wiedikon eingerichtet wurde. Er organisierte zudem mehrere Zürcher Katholikentage – demonstrative, gross inszenierte Zusammenkünfte Zürcher Katholikinnen und Katholiken – und machte dort seine Forderungen publik. So am letzten Katholikentag 1957 vor 16 000 Personen im Zürcher Hallenstadion. Er prangerte an, dass Zürich «die grösste katholische Stadt der Schweiz» und der Kanton zum «grössten katholischen Kanton» geworden war, ohne diese inzwischen auf 25 Prozent gewachsene Minderheit öffentlich-rechtlich anzuerkennen. Doch auch in den eigenen Reihen kritisierte er, dass viele Katholikinnen und Katholiken der Kirche passiv gegenüberstanden und folgerte: «Katholisch-Zürich muss katholischer und muss zürcherischer werden.» Und als Zürcher wollten sie als vollwertige Bürger anerkannt werden. Endlich eine eigene Kirchgemeinde Am 7. Juli 1963 stimmte das Zürcher Stimmvolk mit 88 256 Ja- gegen 38 161 Nein-Stimmen für die Änderung der Zürcher Staatsverfassung. Sie ermöglichte das gleichentags ebenfalls, wenn auch weniger deutlich, angenommene Gesetz über das katholische Kirchenwesen. Nun waren endlich die Voraussetzungen zur Gründung von römisch-katholischen Kirchgemeinden geschaffen! Mit der offiziellen Bezeichnung «Römisch-katholische Kirchgemeinde Zürich-Wiedikon» konstituierte sich als eine von 67 Kirchgemeinden im Kanton auch die Wiediker Kirchgemeinde am 2. Dezember 1963. Stimmberechtigt und wählbar waren in Wiedikon wohnhafte römisch-katholische Volljährige – ab 1964 auch Frauen, ganze sechs Jahre vor dem kantonalen Stimmrecht. Das Gesetz über das katholische Kirchenwesen war zwar auf die römisch-katholische Kirche abgestimmt, gewisse Forderungen der Zürcher Regierung, wie die Einführung der Wahl von Kirchenpflegen und die Amtswahl für Pfarrer, hatten darin aber analog zur reformierten Kirche aufgenommen werden müssen. Dies führte zu Demokratisierungsprozessen in den katholischen Gemeinden, die zum Teil dem kanonischen Recht widersprachen: Statt dem Bischof hatte nun die Kirchgemeinde das Recht ihren Pfarrer zu wählen oder abzusetzen. In diesem Spannungsfeld bewegten sich die Mitglieder der neuen Kirchgemeinden und die Geistlichkeit. Herz Jesu baut aus Neuerungen brachte die öffentlich-rechtliche Anerkennung auch in administrativer und finanzieller Hinsicht: Eine Pensionskasse für die Mitarbeitenden von Pfarreien wurde geschaffen, in der Stadt Zürich wurde ein einheitlicher Steuerfuss für die 22 Kirchgemeinden eingeführt und die Subventionierung kirchlicher Bauten in der neugeschaffenen Zentralkommission traktandiert. Von letzterer profitierte auch Herz Jesu Wiedikon. Bereits in der zweiten Sitzung besetzte die Kirchgemeinde die Mitglieder der Baukommission. Am 28. Dezember 1966 folgte der Spatenstich für das lange geplante bauliche Grossprojekt: Renovation der Kirche, Bau der Unterkirche mit weiteren 300 Sitzplätzen, Pfarrhaus und Verwaltungsbau, Vereins- und Jugendräume und der Schulhausbau. Fortsetzung folgt: Im nächsten Blog erfahren Sie mehr zur Grossbaustelle der 1960er-Jahre und zur Schule in Herz Jesu Wiedikon. Schon mehr als ein halbes Jahrhundert ist es her, seit die Kirche Herz Jesu Wiedikon umfassend renoviert worden ist. Inzwischen zeigen sich verschiedene Alterserscheinungen und die Bedürfnisse der Gemeinde haben sich gewandelt. Ab Sommer 2022 und bis Herbst 2023 finden daher Renovierungsarbeiten in der Unter- und Oberkirche statt. Was sind die Massnahmen und warum sind sie wichtig? Ein Gespräch mit vier Mitgliedern der sechsköpfigen Baukommission. Wer heute ein Kirchengebäude umfassend renoviert, glaubt an die Botschaft der Kirche. Was bedeutet das in Bezug auf Herz Jesu Wiedikon? Sigmund Tur (ST): Unsere Kirche soll Platz für alle bieten und muss für diverse Zwecke genutzt werden können. Sie soll Heimat für Menschen sein. Eine Kirche ist ein Ort für verschiedene Riten, also für Messen, aber auch für Meditation, Familiengottesdienste, Wortgottesdienste, Kulturanlässe oder Lesungen. Katharina Böhmer (KB): Der Kirchenraum ist ein spiritueller Ort – und soll es auch für die nächsten Jahrzehnte bleiben. Ronald Jenny (RJ): Natürlich ist der grosse Teil der Nutzungen traditionell christlich und es finden Gottesdienste statt – auf Deutsch, Polnisch oder Tamilisch. Für mich sind aber auch die Interreligiosität und der interreligiöse Dialog zentral. Wie kann Kirchenraum heute offen sein für alle? Wie können Christen, Christinnen und Buddhisten, Buddhistinnen zusammen sprechen, beten und feiern? Jean-Jacques Hossmann (JJH): Es gibt aber auch sehr praktische Gründe für die Sanierung, so die Statik des Dachstuhls, die Wasserdichte des Dachs und die Heizung! Die Renovationsvorhaben gehen aber weit über die notwendigen Sanierungen hinaus. JJH: Wichtig bei Projekten dieser Art ist: Entweder wir machen es richtig oder gar nicht. Schliesslich bauen wir für die nächsten Generationen! ST: Der letzte Umbau liegt 54 Jahre zurück und wir haben in der Baukommission seit Ende 2018 daher umfassend über nötige Massnahmen nachgedacht und gesprochen. Dazu gehörten Diskussionen mit der Seelsorge, aber auch mit allen Nutzenden, mit der Basis. KB: Es galt also, sowohl theologische und liturgische Fragen zu beantworten als auch ganz praktische. Die Baukommission für die Renovation der Kirche Herz Jesu Wiedikon 2022/23 besteht aus sechs Personen: Sigmund Tur (Präsident) und Markus Walker von der Kirchenpflege, Jean-Jacques Hossmann und Katharina Böhmer aus der Stiftung Herz Jesu Kirche, Ronald Jenny und Artur Czastkiewicz aus dem Seelsorge-Team. Die Baukommission wurde 2018 auf Anregung der Kirchenpflege eingesetzt. Inzwischen steht fest: In der Oberkirche braucht es ein neues Licht- und Farbkonzept, eine Renovation der Orgel, die Umgestaltung der Marienkapelle, der Beichtstühle und des Kreuzweges. In der Unterkirche soll unter anderem die Beleuchtung modernisiert werden und die Zugänge werden neu gestaltet. Wie hat die Baukommission diese Vorgaben erarbeitet? KB: Als Schriftenführerin kann ich sagen: Wir haben einen ganzen Berg Papier produziert (lacht). Zu Beginn, ab Ende 2018, trafen wir uns alle zwei Wochen zu einer Sitzung. Die Vorbereitung des Massnahmenkatalogs und das Planerwahlverfahren 2019/20 waren sehr aufwändig. Mittlerweile sehen wir uns ungefähr einmal monatlich. ST: Wir setzten uns also vertieft mit den einzelnen Punkten auseinander. RJ: Sehr gut zeigt dies der Kreuzweg. Erst wollten wir diesen ganz abschaffen, da er in unseren Schweizer Messen nicht mehr wichtig ist... KB: Doch wir merkten, dass wir die Bedürfnisse der Missionen unbedingt mitbedenken müssen. Sie nutzen den Kirchenraum intensiv und liefern uns damit auch eine Legitimation für eine grosse Renovation. ST: An einem Sonntag besuchen bis zu 1200 Polinnen und Polen die Messen in unserer Kirche! RJ: Und für die Polenmission wiederum ist der Kreuzweg wichtig. Wir sind über diverse Stufen nun zu einer Überlegung für die Gestaltung gelangt, die mir sehr gefällt: Die Stationen könnten durch schlichte, unterschiedlich gestaltete Kreuze angezeigt werden. Auch bei den Beichtstühlen gab es viel zu bedenken und zu diskutieren. Schweizerinnen und Schweizer brauchen sie nunmehr selten. Doch polnische Katholikinnen und Katholiken gehen vor der Messe beichten. Auch hier haben wir inzwischen eine gute Lösung gefunden. ST: Wir werden das schönste Beichtzimmer nördlich der Alpen haben (lacht)! Die Marienkapelle wird durch die Umgestaltung durch umlaufende, gepolsterte Bänke ebenfalls viel gewinnen, weiterhin aber ein Ort für die persönliche Andacht bleiben. Man soll sich hier wohl fühlen: wie im Mutterschoss. RJ: Die Marienkapelle ist der begehrteste Ort in unserer Kirche. Wenn ich um zehn Uhr morgens jeweils einen kurzen Blick in die Kirche werfe, brennen da manchmal fünf, manchmal aber bereits zwanzig Kerzen. So viele Leute kommen hier vorbei für ein kurzes stilles Gebet. Für einen so vielfältigen Umbau braucht es eine gute Zusammenarbeit mit Fachleuten! KB: Ja, genau. Das Planerwahlverfahren hat eine Gruppe von vier Architektinnen gewonnen. Sie haben den Auftrag erhalten und die Zusammenarbeit mit ihnen ist hervorragend. ST: Die Architektinnen setzen sich intensiv mit dem Kirchenbau und dessen Geschichte auseinander. Die Renovation der denkmalgeschützten Orgel etwa braucht besonders viel Wissen und Fingerspitzengefühl. Das wird sich am Schluss in der Qualität des Umbaus äussern. RJ: Unser Bauherrenvertreter Christoph Kratzer ist zudem eine ganz wichtige Stütze für die Baukommission. JJH: Wir haben bereits beim Bau des Johanneums mit ihm zusammengearbeitet und ihn sehr geschätzt. An Weihnachten 2023 kann die Gemeinde voraussichtlich die Wiedereröffnung der Oberkirche feiern. Worauf freuen sich die Mitglieder der Baukommission?
KB: Auf den Gesamteindruck insgesamt! Ich bin gespannt, wie alle Massnahmen umgesetzt wirken werden. JJH: Unsere Arbeit hier ist sehr interessant und spannend. Trotzdem wird es eine Erleichterung sein, wenn wir sie beenden können. Es wird garantiert eine gute Sache! RJ: Ich freue mich auf die Eröffnungsfeier. Doch bis dahin gibt es noch einiges an Arbeit. Nicht alles geht so, wie ich es will (lacht). Wir müssen auch bescheiden sein, können nicht unendlich Geld ausgeben und alles wünschen. Ich bin mir aber sicher: Es kommt gut! ST: Am meisten freue ich mich auf das Gesamtkunstwerk aus Visuellem und Klanglichem. Die neue Orgel wird bombastisch sein! Im Chor singe ich häufig auf der Empore – hoffentlich auch an Weihnachten 2023. Ich wünsche mir, dass dem Publikum das Wasser in die Augen schiesst und dass ich stolz sein kann, meinen Teil dazu beigetragen zu haben. Im Johanneum an der Aemtlerstrasse proben heute verschiedene Chöre. Das hat Tradition. Der Ambrosiuschor sorgte während neun Jahrzehnten für Musik an Feiertagen, zeitweise gab es einen Frauenchor und ein Orchester. Auch wenn die Chöre musikalisch harmonieren: Ihre Geschichte war wechselvoll. Im Pfarreiarchiv von Herz Jesu Wiedikon sind Dokumente aus der Gründungszeit zu finden, aber auch solche aus der jüngeren Geschichte der Gemeinde: so ein Plan für die «Kantorei Herz-Jesu Wiedikon» vom Oktober 2007 mit zwei gemischten Chören, einem Vokalensemble, einer Choralschola und einem Kinder- und Jugendchor. Verfasser: Stephan Klarer, Dirigent, Spezialist für Gregorianik und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste. Er hatte 2007 eben seine Stelle als Kirchenmusiker an der Liebfrauenkirche Zürich gekündigt. «Sein» Chor, der Gregorius-Chor der Pfarrei Liebfrauen, wollte aber weiterhin bei ihm bleiben. Und so kam er ins Gespräch mit der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon. Zur gleichen Zeit befand sich der schon seit 1921 bestehende Ambrosiuschor, der Kirchenchor von Herz Jesu Wiedikon, ebenfalls in einer schwierigen Situation: Der Chorleiter Marco Castellini hatte 2006 seinen Posten verlassen, der Präsident Peter Schlichte übernahm das Amt der musikalischen Leitung. «Ich hatte in den 1980er-Jahren ein berufsbegleitetes Chorleiterdiplom am Konservatorium Zürich erworben», erzählt Schlichte. Es sei seine Pflicht gewesen, den Ambrosius-Chor bis zur Findung eines neuen Chorleiters oder einer Chorleiterin interimistisch zu übernehmen. «Sonst wären wir damals untergegangen.» Eine Kantorei entsteht Zwei Chöre in der Klemme und ein hochqualifizierter Dirigent bildeten sodann die Basis für die heute noch bestehende Kantorei Herz Jesu Wiedikon. Klarer übernahm ab 2008 den Ambrosiuschor in Herz Jesu Wiedikon und der Gregorius-Chor aus Liebfrauen folgte ihm an die Aemtlerstrasse. Als Leiterin der Singschule für Kinder und Jugendliche wurde Chrysoula Peraki verpflichtet. Die ausgebildete Sängerin hatte zuvor die Chorleitungsausbildung bei Klarer absolviert. «Es war für mich ein Privileg, eine neue Singschule zu gründen», sagt sie. Ein Teil der Kinder von 2008 ist heute fast erwachsen und singt im neuen Jugendchor. Der Fokus bei der Arbeit sei immer die Stimme: «Man soll nachher das ganze Leben Freude haben am Singen.» Die rund 35 jungen Sängerinnen und Sänger proben samstags und treten in Gottesdiensten und in Konzerten auf. In den vergangenen fünf Jahren bildeten jeweils die Liedertheater den Jahreshöhepunkt – 2021 kam ein eigens für die Singschule und den Jugendchor komponiertes Musical zur Aufführung. Auflösung des angestammten Chors Nicht so reibungslos wie bei der Singschule verlief die Entwicklung bei den beiden Chören – Ambrosiuschor und Gregorius-Chor – für die Erwachsenen: Mit der Zeit entstand eine Konkurrenzsituation, die schliesslich auch den Weggang des Dirigenten Stephan Klarer zur Folge hatte. Nach einer Ausschreibung der Dirigentenstelle wurde 2014 mit Bardia Charaf ein neuer Chorleiter gefunden. Mit ihm kehrte Ruhe ein – aber nur für kurze Zeit. «Offenbar stellte man sich seitens der Pfarreigremien aber zunehmend die Frage, ob es in Herz Jesu Wiedikon wirklich zwei Chöre nebeneinander brauche. Schliesslich beschloss sie dann, den Ambrosius-Chor aufzulösen», sagt Peter Schlichte. Der Vorstand des Chores und auch die Mitglieder hätten sich dem Entscheid nach heftigen Diskussionen dann angeschlossen. An einer ausserordentlichen Generalversammlung wurde der Ambrosius-Chor per Ende 2015 aufgelöst. «Ein wesentlicher Grund für das Ende war seitens des Chores auch die Überalterung der Mitglieder und der damals zahlenmässig tiefe Bestand an Sängerinnen und Sängern», sagt Schlichte rückblickend. 1968 gar eine Schallplatte aufgezeichnet Als Schlichte 1959 als 16-Jähriger dem Ambrosiuschor beigetreten war, hatte der Verein rund achtzig Mitglieder. Unter Chorleiter Fridolin Roth, auch Vikar in der Pfarrei, verfügte man über ein Repertoire mit zahlreichen Messen und sang zu Ostern, Pfingsten, am Caeciliensonntag und an Weihnachten Orchestermessen. «Qualitativ waren das sehr gute Aufführungen mit professionellen Orchestermitgliedern und Solisten», sagt Schlichte. 1968 habe man sogar eine Schallplattenaufnahme von Joseph Haydns Nicolai-Messe gemacht. Schlichte erlebte den durch gesellschaftlichen Wandel bedingten Rückgang von Sängerinnen und Sängern auf rund fünfzig in den 1970er-Jahren. Höhepunkte sind ihm aber auch unter den Dirigenten Stephan Meier und Marco Castellini in Erinnerung, so etwa die Aufführung von Heinrich Schütz’ Johannespassion in Kleinformation. Zu Beginn ein Männerchor Gegründet worden ist der Ambrosiuschor fast zeitgleich mit der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon. Die ersten Statuten stammen vom 6. November 1921. Es ist darin zu lesen, dass Beitrittswillige eine vierwöchige Probezeit mit «einer Prüfung über ihre gesangliche Befähigung» zu bestehen hatten. Die Statuten regelten auch die Tätigkeit einer «Vergnügungskommission», die «bei gemütlichen Anlässen» für Unterhaltung sorgen sollte. Aufgenommen wurden in den ersten Jahrzehnten des Chors nur Männer – als Passivmitglieder hingegen waren Frauen ebenfalls willkommen. Ob sie ihre Funktion primär bei der «Pflege des gesellschaftlichen Lebens» ausführten, vielleicht als Köchinnen? Belegt ist zeitweise auch der Frauenchor Laetitia, der später sicher als Nachwuchsreservoir für den ab den 1940er-Jahren gemischten Ambrosiuschor diente. Mehr als Kirchenmusik Zur Pflicht des Chors gehörte die Begleitung der Messen an den Feiertagen. Aber auch die Konzerte ausserhalb der kirchlichen Feiern zogen ein grosses Publikum an. Im November 1927 beispielsweise führte der Ambrosiuschor Robert Schumanns Märchenidyll «Der Rose Pilgerfahrt» von 1851 auf. Neben Chören gehörten auch Musikgesellschaften zu katholischen Pfarreien – in Herz Jesu Wiedikon existierte zeitweise die «Utonia», die beispielsweise an der Fasnachtsfeier 1928 aufspielte, so einen Marsch mit dem Titel «Wir bleiben neutral». Eine reformierte Frau als erste Dirigentin Der heutige Kirchenchor von Herz Jesu Wiedikon, der Gregorius-Chor, kann ebenfalls auf eine lange Geschichte zurückblicken. Er entstand 1890 und probte ab 1891 im Gesellenhaus am Wolfbach. Initiiert hatten ihn sechs Frauen mit Erlaubnis des Pfarrers Karl Reichlin, der in St. Peter und Paul amtete. Die reformierte Louise Grob wurde als erste Dirigentin engagiert. Mit der Gründung der zweiten römisch-katholischen Pfarrei in der Stadt Zürich 1893 und dem Bau der Kirche Liebfrauen, die 1894 eingesegnet wurde, bekam der Chor eine Heimat. Aus dem Frauenchor wurde bald ein gemischter Chor, dessen Mitgliederzahlen stetig wuchsen. Chorgeschichte ist Familiengeschichte Ein früheres Mitglied war Josef Kordeuter, Grossvater von Regula Schoop, die noch heute Sängerin im Gregorius-Chor ist. «Mein Grossvater trat 1901 bei und blieb während 41 Jahren Sänger», erzählt sie. Der Chor prägte denn auch die weitere Familiengeschichte: Ihre Eltern lernten sich im Gregorius-Chor kennen und lieben – und blieben Mitglied: die Mutter während 57 Jahren, der Vater 48 Jahre lang, davon zehn Jahre als Präsident. «Schon als kleines Kind nahm man mich mit zu den Gottesdiensten.» Zusammen mit anderen Kindern durfte Schoop jeweils von der Empore aus der Messe folgen. «Es war damals selbstverständlich, dass auch ich beitrat», sagt sie, die 1961 ihren Einstand als Sängerin gab. Die offizielle Aufnahme in den Chor erfolgte damals nach rund einem halbem Jahr Kandidatur plus Stimmprobe beim Dirigenten. «Sowohl für die Aktiv- als auch die Passivmitglieder bedeutete der Chor das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens», sagt Schoop. Viele Passiv-Mitglieder hätten die Aktiven mit ihrem grosszügigen Obolus unterstützt, zum Beispiel bei Chorreisen oder bei den festlichen Cäcilienfeiern. Trotz gesellschaftlichem Wandel, auch während Familienzeit und nach Wegzug aus der Stadt nach Gockhausen blieb Schoop dem Gregorius-Chor treu. Sie folgte dann 2008 auch zusammen mit der Mehrheit des Chores dem Dirigenten Stephan Klarer von Liebfrauen nach Herz Jesu Wiedikon. Erst die Corona-Pandemie hat ihren Probenbesuch unterbrochen. Uraufführung der «Missa festiva» geplant Heute besteht die Kantorei Herz Jesu Wiedikon aus dem Gregorius-Chor, der Singschule und dem Jugenchor. Jeweils mittwochs findet ein «Singe mit de Chliine» statt. «Wir haben einen eigenen Klang gefunden», sagt der Dirigent Bardia Charaf über seine siebenjährige Arbeit mit dem Gregorius-Chor. Gegenwärtig probt er an der «Missa festiva», die er für «seinen» Chor geschrieben hat – eigentlich zum Jubiläum 2021. Die Uraufführung ist für Pfingsten 2022 geplant. Eine Bilderausstellung in der Oberkirche Herz Jesu Wiedikon zeigt ab Ende Februar Fotos aus der Geschichte der Kirchenmusik in der Pfarrei. Für das Apsisbild in der Oberkirche von Herz Jesu Wiedikon wählte der Maler Felix Baumhauer in den 1920er-Jahren eine Darstellung der christlichen Dreieinigkeit. Zu diesem Bild gibt es viele spannende Fragen. Die meistgestellte Frage jedoch ist: Warum schaut Gottvater so böse? Dieser Frage möchte ich an dieser Stelle nachgehen. Teil 2 der Betrachtung des Apsisbildes. Von Stefanie Faccani, Kunsthistorikerin lic. phil. und Katechetin Das christliche Verständnis von Gott ist gestützt auf die Bibel und ist ein Verständnis von Beziehung: drei Wesenheiten, Gottvater, Gottessohn und der Heilige Geist sind in engster Beziehung miteinander und bilden zusammen Eins, Gott. Aber nicht nur stehen sie untereinander in einer Beziehung, sondern sie verbinden sich auch mit uns Menschen und allen Geschöpfen auf der Welt und der Welt selbst. So wird Gottvater doch als Schöpfer der Welt verstanden und Gottessohn als menschgewordener Gott, um als Mensch den Menschen zu begegnen. Der Heilige Geist ist ständiger Wegbegleiter, der das unsichtbare Geistige von Gottvater und des Auferstandenen in einer dritten Wesenheit vertritt. Gottvater, Gottessohn, der Heilige Geist und die Betrachtenden Mit diesem Verständnis malte Felix Baumhauer (1876–1960) Gottvater, Gottessohn und den Heiligen Geist auch nicht losgelöst von der Welt, sondern das Kreuz des Gekreuzigten steht auf einem Grund, auf dem sich menschliche Figuren in einer Reihe befinden. Sie stellen verschiedene Persönlichkeiten dar, biblische und solche aus späterer Zeit. Es sind Personen mit besonderem Stellenwert im christlich-katholischen Verständnis: Es sind Heilige, mit einem Heiligenschein ausgezeichnet, mit Ausnahme des römischen Armeeangehörigen, der auch in mittelalterlicher Bildtradition am kleinsten dargestellt ist und so die kleinste Wichtigkeit in diesem Geschehen verkörpert. Die Figuren der Heiligen sollen Beispiele sein mit ihrer Lebensgeschichte in ihrer Treue zu ihrem Glauben an Gott. Beispiele für wen? Felix Baumhauer malte eine dunkelblaue Zone, die sich vom Scheitelpunkt in der Figur Gottvaters in Dreiecksform zum Grund, auf welchem die Heiligenfiguren stehen, ausbreitet. Wird diese Form weitergedacht, weitet sich diese Zone in den Kirchenraum aus und die Kirchenbesucher werden Teil des Apsisbildes, Teil des Geschehens. Die Kirchen- und Gottesdienstbesucher und -besucherinnen sind auch wirklich Teil des abgebildeten Geschehens, da in jeder Eucharistiefeier daran gedacht wird, dass Jesus gestorben, gekreuzigt, begraben und auferstanden ist und durch Gottvater in den Himmel aufgenommen wurde. Ebenfalls wird an den Heiligen Geist erinnert, der Wegbegleiter der christlichen Gläubigen ist in der Hoffnung ihrer Auferstehung nach dem Vorbild der Heiligen und Jesus Christus selbst. Eine Frage löst weitere Fragen aus Aber warum schaut die Figur von Gottvater so böse? Man stelle sich vor, man wäre Teil des Geschehens im Bild. Da ist ein Mann, etwa 30 bis 35 Jahre alt, ans Kreuz genagelt, gefoltert, von der herrschenden Militärmacht zum grausamen Tod verurteilt. Menschen, die dem Gekreuzigten nahestanden, mussten tatenlos zuschauen. Genau wie wir, die wir vor der Apsis stehen. Auch der Vater des Gekreuzigten ist dabei. Vater und Sohn lieben einander und sind sich innig verbunden. Der Sohn ist unschuldig verurteilt, gefoltert, gemartert. Der Vater schaut sorgenvoll, zornig. Was sind wohl seine Gefühle? Können wir uns vorstellen, was unsere Gefühle wären als Eltern eines erwachsenen Kinds, das unschuldig verurteilt, gefoltert, zu Tode gemartert wird? Wären wir voller Sorgen, wie unser Kind diese Qual überstehen soll? Wären wir zornig, dass unser Kind diese Marter ertragen muss? Wären diese Gefühle nicht Gefühle der Anteilnahme am Schicksal unseres Kindes? Und vielleicht würden wir uns auch Sorgen machen um unsere anderen Kinder in einer solchen Welt… Angenommen, der Vater würde freundlich lächeln beim Leid seines Sohnes: Würden wir dann vielleicht denken, dass es sich um einen Vater ohne Mitgefühl handeln müsste, nur besorgt um seine Publicity? Wie wäre das, wenn wir leiden würden, traurig wären und wir hätten das Bild eines ewig lächelnden Gottvaters vor Augen? – Eine mögliche Antwort Felix Baumhauer war 1924, als er das Bild malte, werdender Vater. Er malte seine Vorstellung von Gottvater: ein mitfühlender Gott, der mit Seinem Sohn mitleidet, Seine Arme mit offenen Händen ausbreitet für ihn und Seine anderen Kinder, die Heiligen und den Unheiligen. Er tat dies für uns zum Zeichen, dass auch wir willkommen sind, dass Er auch uns nicht allein lässt in Zeiten unseres Schmerzes und unserer Trauer. Gottvater in der Apsis der Kirche Herz Jesu Wiedikon ist also mit seiner ernsten Miene ein mitfühlender Gott. Ich stelle mir vor, dass Er sich auch gerne mit uns freut in Zeiten der Freude. Hier geht es zu Teil 1 der Betrachtung des Apsisbildes.
Im katholischen Milieu Zürichs wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für den katholischen Bevölkerungsteil eine eigene Infrastruktur aufgebaut. Katholische Kindergärten boten Betreuung und Erziehung, Pflegeangebote halfen Hilfsbedürftigen – auch in Herz Jesu Wiedikon. Filmaufnahmen aus dem «Kleinkindergarten» von Herz Jesu Wiedikon, 1930er-Jahre. (Pfarreiarchiv Herz Jesu Wiedikon) Vor dem Ausbau der staatlichen Sozialhilfe und einem flächendeckenden Netz von Spitex waren private karitative Einrichtungen wichtig. Diese wurden für Katholikinnen und Katholiken in Wiedikon von der Kirchgemeinde betrieben. Säulen dieser Hilfe, insbesondere für die Ärmsten, waren der Vinzenzverein und der Elisabethenverein, die mit Initiativen, Geldspenden und ehrenamtlichem Engagement Hilfe leisteten. Ordensschwestern engagierten sich zudem für Jahrzehnte in der Kirchgemeinde mit Pflege- und Betreuungssaufträgen. Unterstützung für Bedürftige 1934 entstand eine Krankenpflegestation im Quartier. Zwei St. Anna-Schwestern aus Luzern bezogen im 4. Stock des Johanneums eine Wohnung. Neben den Kranken kümmerten sich die Schwestern auch um Seniorinnen und Senioren sowie Wöchnerinnen. Dies war auch die Zielgruppe des Elisabethenvereins, der sich vor allem auf Hilfe für arme Frauen konzentrierte. Ein Bericht von 1944 zeigt, dass diese Hilfe in Form von Nahrungsmittelspenden, Spenden für Heizmaterial, Arztrechnungen und anderen Rechnungsrückständen aber auch in Form von Pflege und Haushaltshilfe bei Kranken und Bettlägerigen stattfand. Stets kämpfte der Verein gegen Geldsorgen und wie den Jahresberichten zu entnehmen ist, waren diese insbesondere in der Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren mit hoher Arbeitslosigkeit und in den Jahren des Zweiten Weltkriegs spürbar. Weniger Einnahmen standen einem höheren Bedarf an Hilfe gegenüber. Aus einem Bericht 1943 ist zu den Barauslagen des Vereins zu lesen: Sie findet de [Betrag] wahrschinlich e chli hoch, Mer zwar au; aber gsend Sie, mer hend slezzt Jahr so abgschaffedi Fraue atroffe, wo köperlich und seelisch sozzage erledigt gsi sind, dass mer gfunde hend, mer muessid durchgriffend helfe, und so hemmer Biträg zahlt und mit Hilf vom Frauebund hend die Fraue de chönne furt, us allem use, körperlich und seelisch sich go erhole und mir hend Freud gha sgseh, dass sie mit früschem Muet und früscher Kraft ihre Ufgab wieder hend chöne überneh. Doch nicht nur für die eigene Kirchgemeinde wurde Hilfe geleistet. Anfang der 1930er-Jahre betrieb die Pfarrei eine Arbeitslosensuppenküche, in der Arbeitslose unabhängig von Wohnort und Konfession willkommen waren. Während des Zweiten Weltkriegs konnten Bäuerinnen und andere von Arbeit überlastete Frauen über den Frauenhilfdienst sogenannte «Flicksäcke» mit zu flickenden Kleidungsstücken einsenden. Die Frauen des Elisabethenvereins von Herz Jesu Wiedikon erneuerten diese und sandten sie wieder zurück. Erziehung für die Kleinsten Der Vinzenzverein von Herz Jesu, der karitativ tätige Verein der Männer, war finanziell potenter als der Elisabethenverein und richtete sich vor allem an hilfsbedürftige Familien. Neben Spenden in Form von Naturalien und Lebenshaltungskosten initiierte der Verein auch einen Kindergarten. Für die Führung des Kindergartens im Pfarreihaus und im Johanneum konnten Ilanzer Dominikanerinnen gewonnen werden. Im April 1935 öffnete die «Kleinkinderschule» ihre Tore und bereits ein Jahr später gab es 70 Anmeldungen, sodass ein weiterer Kurs geführt werden musste. Das Schulgeld belief sich damals auf 1.50 Franken pro Monat. 1941 schickte das Ilanzer Mutterhaus auf Anfrage gar eine dritte Schwester, weil die Nachfrage nochmals gestiegen war. Eine Schwester betreute im ersten Jahrzehnt zwischen 40 und 50 Kinder, in den 1960er Jahren waren es noch 30 bis 40 Kinder. Die letzte Ilanzer Schwester verliess den Kindergarten auf das Ende des Schuljahrs 1990/1991, neun Jahre später schloss der Kindergarten wegen mangelnder Nachfrage ganz. Rolle des Kirchenanzeigers
Der Kirchenanzeiger, der von der Gründungszeit 1921 bis in die 1950er Jahre von der Pfarrei Herz Jesu herausgegeben wurde, diente als Informationsorgan zu den karitativen Angeboten in der Pfarrei. Auch machte er Aufrufe an seine Pfarreimitglieder, sich bei Spenden für Minderbemittelte zu engagieren. Da waren die Weihnachtsspenden gerade für bedürftige Kinder, die dann in einer Kinderweihnachtsfeier mit vom Frauen- und Mütterverein gestrickten Strümpfen und anderen nützlichen Dingen beschenkt wurden. Ganz pragmatisch waren Aufrufe im Anzeiger für die Übernahme der Kosten von Erstkommunionskleidern und Ferienlager für arme Kinder der Pfarrei. Niederschwellige Angebote sind auch heute noch wichtig in der Pfarrei Herz Jesu. Bedürftigen Menschen, die im Pfarreigebiet wohnen, hilft Herz Jesu mit Migros-Gutscheinen, in Notfällen auch mit weiteren Spenden. 2021 unterstützte die Pfarrei ausserdem Sr. Ariane und ihren Verein Incontro, der im Langstrassenquartier mit Nahrungsmitteln und Gesprächen hilft. Ein Blick in die alten Ausgaben des «Kirchenanzeigers» – heute «Forum» – verrät viel über frühere Weihnachtsfeiern: Am Stefanstag etwa sangen und spielten Vereinsmitglieder jeweils schalkhafte Stücke, im Hochamt am 25. Dezember wurde Mozart besonders häufig gesungen. Einst gab es mitten in Wiedikon ein Kino – an der Zweierstrasse 134, erst «Kolosseum» genannt, später und bis zur Schliessung 1968 «Royal». Zwar hatten Kinos in den 1920er-Jahren ihren schlechten Ruf als Orte der Unsittlichkeit noch nicht ganz abgestreift, aber dem katholischen Männerverein Herz Jesu schien dies keine Rolle zu spielen: Für den 26. Dezember 1921 luden die Männer auf 19 Uhr zur Pfarrei-Weihnachtsfeier ins «Kolosseum» ein. Zwei Tage zuvor, an Heiligabend, war in Herz Jesu Wiedikon zum ersten Mal seit der Reformation eine Mitternachtsmesse zelebriert worden. Volkslieder im Kino Für die Feier im «Kolosseum» konnte man in der Spezereihandlung von Albert Auchter an der Weststrasse 145 oder bei Coiffeur Eugen Klingler an der Zelgstrasse 2 Billette kaufen. Für 1 Franken gab es einen Platz im Parkett («vorderer Saal»), für 30 Rappen schaute man aus den hinteren Rängen oder von der Galerie aus zu. Das abendfüllende Programm war abwechslungsreich: Zur Eröffnung sangen der Knaben- und der Ambrosiuschor ein «Gloria» des heute in Vergessenheit geratenen Kilchberger Komponisten Josef Heinrich Dietrich. Anschliessend wechselten sich die beiden Chöre mit ihren Darbietungen ab: Volkslieder, humoristische Einlagen und ein Weihnachtsspiel mit dem Titel «Wieder vereint» folgten aufeinander. Zwar fehlen Erlebnisberichte, doch es ist anzunehmen, dass die Sänger und Schauspieler vor vollen Rängen auftraten und die Teilnehmenden gut unterhalten waren. Denn die Weihnachtsfeier der Pfarrei bürgerte sich bald ein. Vereine als treibende Kraft Die Feiern wurde jeweils von Vereinen organisiert und fand in den 1920er- und 1930er-Jahren meistens am Stefanstag statt. Auf dem Programm standen immer auch weltliche Lieder und häufig Stücke aus Operetten. Nach einem Jahr im «Kolosseum» wählten die Chöre 1922 das «Kasino», das Vereinshaus der Pfarrei St. Peter und Paul, an der Badenerstrasse als Ort für die Feier. Nach Eröffnung des Johanneums 1926 gab es endlich ein eigenes Versammlungslokal für solche Anlässe. Katholiken zählen Ein zentrales Element der Feier war jeweils die Ansprache des Pfarrers, der den Pfarreiangehörigen mitunter die neuesten statistischen Daten vortrug: Wie viele Katholikinnen und Katholiken leben in Wiedikon? Wie viele sind zugezogen? Wie viele sind weggezogen? In den 1930er-Jahren betrug die Zahl um die 5000 bis 6000 Familien. «Rechnet man auch diejenigen dazu, wo der Mann nicht unserer Konfession angehört, dürfte die Zahl um ein Bedeutendes erhöht werden», sagte Pfarrer Benjamin Simmen 1937. Dies war eine Vergewisserung für die Mitglieder der Diasporagemeinde Herz Jesu Wiedikon, die sich politisch noch immer im Abseits sah: Zwar waren die Katholikinnen und Katholiken noch in der Minderheit, doch ihre Zahl und somit Bedeutung wuchsen. Bis zur öffentlich-rechtlichen Anerkennung der römisch-katholischen Kirche 1963 indes sollte es noch fast drei Jahrzehnte dauern. Der Chor ist gefordert Heiligabend und am Weihnachtstag sind in der Kirche eine ausgefüllte Zeit. Die zwei Hauptgottesdienste, also die Mitternachtsmesse und das Hochamt am Vormittag des 25. Dezembers, wurden in Herz Jesu Wiedikon jeweils musikalisch durch den Chor und ein Orchester gestaltet. Die Vorbereitungen hierfür waren für die Laien intensiv. Im Kirchenanzeiger vom 22. Dezember 1935 ist etwa zu lesen: «Die Aktiven sind dringend ersucht, die letzten Proben vor Weihnachten lückenlos zu besuchen.» 1946 studierte der Chor gar zwei Messen ein: Mozarts Missa brevis in D-Dur (KV 194) für die Mitternachtsmesse und Josef Rheinbergers Messe in C-Dur (op. 169) für das «Königsamt» am nächsten Morgen. Klassiker «Transeamus» Zur Ankündigung im «Kirchenanzeiger» gehörte bis in die 1980er-Jahre auch ein ausführlicher Kommentar zur Musik, der sich bei den häufig gesungenen Messen wie Mozarts Krönungsmesse (KV 317) im Wortlaut wiederholte. Zum Kyrie in Joseph Hayds Nikolai-Messe (Hob. XXII:6) war 1956 etwa zu lesen: «Wenn die Hirten an der Krippe wirklich gesungen haben, dann muss ihr Singen in dieser Art geklungen haben.» In der Mitternachtsmesse nicht fehlen durften – und dürfen – die Klassiker, so Joseph Ignaz Schnabels «Transeamus usque ad Bethlehem», Johann Ritter von Herbecks «Pueri concinite» und Basil Breitenbachs «Christe Redemptor». Besonderer Beliebtheit in jüngster Zeit erfreut sich Mozarts «Spatzenmesse» (KV 220). Der Gregorius Chor wird sie heuer am Weihnachtstag unter Leitung von Bardia Charaf singen. Weihnachten in Wiedikon – hören sie die Playlist! Diese Werke sind auf der Playlist «Weihnachten in Herz Jesu Wiedikon» zu hören, interpretiert von verschieden Sängerinnen, Sängern und Chören in unterschiedlicher Qualität (auf Link klicken und «alle wiedergeben» wählen, um alle Werke abzuspielen):
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