Vor genau hundert Jahren waren in Herz Jesu Wiedikon erstmals Orgelklänge zu hören – direkt aus dem Turm. Hier hatte der Instrumentenbauer nämlich alle Pfeifen installiert. Auf der Empore war es schlicht zu eng dafür. Bis heute ist ein Drittel der heutigen Orgel im Turm versteckt. Das ändert sich aber beim grossen Umbau 2023. Die Katholikinnen und Katholiken von Wiedikon bauten ihre Kirche im Eilzugstempo: Im Frühling 1920 war Spatenstich, am 26. Juni 1921 segnete der Bischof von Chur, Georg Schmid von Grüneck, die Kirche Herz Jesu Wiedikon ein. Möglich war diese Leistung auch dank freiwilligem Einsatz von Menschen aus Wiedikon, die so dringend ihre eigene katholische Kirche haben wollten. Im Sommer 1921 fehlten aber noch zwei für Kirchen wichtige Bestandteile: die Glocken – und eine Orgel. Moderne Klangfarben» Eher schon als die Glocken, die erst 1928 in den Turm hochgezogen wurden, erhielt Herz Jesu Wiedikon aber eine Orgel. Und weil auf der kleinen Empore kaum Platz vorhanden war, um ein Orgelwerk zu installieren, tüftelte die Orgelbaufirma Mönch aus Überlingen eine aussergewöhnliche Lösung aus: Sie installierte das Orgelwerk im Turm der Kirche. Durch eine Schallöffnung gelangte der Ton in den Kirchenraum. Der Organist sass auf der Empore an seinem Spieltisch und zog von hier aus die Register im Turm. Die Platzierung der Orgel scheint auf den Klang allerdings keinen negativen Einfluss gehabt zu haben. Am 1. Juli 1922 – also vor ziemlich genau hundert Jahren – verfasste der Orgelspezialist Alphons Häringer sein Gutachten über das Instrument und lobte die «modernen Klangfarben & Klangcombinationen». Er schloss die ausführliche Dokumentation der Disposition mit diesen Worten, die zeigt, wie sehnlichst die Orgel erwartet worden war: Wir gratulieren der löbl. Pfarrgemeinde sowie dem Orgelbauer O. Mönch aufs herzlichste zu diesem vollkommenen Orgelwerk [...]. Dieses Werk ermögliche, dass manch laue[r] Katholik, dem die kath. Religion im Trubel der Großstadt und den gegenwärtigen Wirrnissen unserer Zeit abhanden gekommen [ist], sich wieder dem schmucken Gotteshause [zuwenden kann]. Das Werk sei zudem im Stande [...], de[m] erhabenen Gottesdienst jene Schönheit und Feierlichkeit zu verleihen, die das Herz erhebt und den Sinn bewegt, sie haben eine Orgel, die die Größe und Majestät Gottes durch die Gewalt ihrer Töne verkündet und der Erhabenheit unserer Liturgie entspricht. Die von Häringer beschriebene Erhabenheit der Orgel ist es, die Guido Keller, Hauptorganist in Wiedikon seit 2006, in seinem Beruf bis heute begeistert: «Man hat eine unglaublich grosse Gestaltungsfreiheit», sagt er. Bereits sein Vater und sein Grossvater waren Organisten und so hat der Uznacher schon als 14-Jähriger begonnen, in verschiedenen St. Galler Pfarreien zu spielen, noch bevor er seine Studien in Winterthur und Basel abschloss. Seit 2006 ist Keller Hauptorganist in Herz Jesu Wiedikon. «Ich habe immer die grossen Räume wie die Kirche Herz Jesu gesucht», erzählt er, der das Wechselspiel von Raum und Akustik liebt. Zusammen mit dem Zürcher Organisten Bernhard Hörler und dem Orgelbauer Christoph Metzler hat er im Hinblick auf die baldigen Umbauten in der Kirche die Geschichte der Orgel von Herz Jesu Wiedikon genau untersucht. «Wir alle waren überrascht, von der Turmorgel zu erfahren.» Von einem solchen Bau hatte noch keiner der Spezialisten je gehört. Eine neue, romantische Orgel Die Orgel von 1922 muss den Kirchengängerinnen und -gängern in den 1940er-Jahren nicht mehr gefallen haben. Ab 1946 konnten Gemeindemitglieder einzelne Orgelpfeifen spendieren, wie Karten einer Orgelpfeifen-Stiftung im Archiv belegen. Die Gemshörner im 1. Manual etwa waren für 14 und 15 Franken zu haben. Im März 1947 konnte die Männedorfer Orgelbaufirma Kuhn engagiert werden und im September 1948 feierte Herz Jesu Wiedikon den Einbau seiner zweiten Orgel mit viel Orgel-, Orchester und Chormusik. Diese Orgel ist das Instrument, das bis heute in der Kirche verbaut ist. Der Einsiedler Pater Stefan Koller, ein berühmter Organist, verfasste das Gutachten und lobte die romantische Stimmung der Orgel, die Materialität. Klangästhetisch sei «ein Werk entstanden, das hohe Ansprüche zu befriedigen» vermöge. Zwar mussten beim Bau einige Kompromisse eingegangen werden: Weil die West- beziehungsweise Rückwand der Kirche zwei zentrale Fenster hat, baute die Firma Kuhn die Orgel zweiteilig, ein Werk links, eines rechts der Fenster. Und das dritte Werk, das Schwellwerk, wurde in den Turm verlegt, damit Sängerinnen, Sänger und ein Orchester auf der Empore Platz fanden. Erst wenige Jahre später wurde sie auf die heutige Grösse erweitert. Je nach Lamellenöffnung tönt es lauter oder etwas gedämpft. «Die Orgel kann sehr mächtig klingen», sagt Keller. Er müsse gut darauf achten, dass er sie nicht zu laut spiele. Auch für Aufnahmen eignet sich die «Universalorgel», wie eine Reihe von öffentlich zugänglichen Aufnahmen zeigt. Technischer Neubau der Orgel geplant Eine Orgel braucht regelmässige Pflege – und einen Orgelbauer, der das Instrument genau kennt. Schon 1948 schloss das Pfarramt deshalb einen Stimmvertrag mit der Orgelbaufirma Kuhn ab. Seit den 1990er-Jahren ist Christoph Metzler aus Dietikon für das Instrument in Herz Jesu Wiedikon zuständig. Neben mehreren Besuchen jährlich, um die Orgel zu stimmen, hat er auch schon zwei Gesamtrevisionen durchgeführt: Dabei werden alle Pfeifen ausgebaut, gereinigt, bei Bedarf geflickt und wieder eingebaut. Das Projekt, die Kirche Herz Jesu Wiedikon nun einer grundlegenden Sanierung zu unterziehen, wird bald auch die Orgel betreffen. Das Schwellwerk soll aus dem Turm geholt werden und unterhalb der Fenster eingebaut werden. Zudem wird der Spieltisch von der Wand weg in die Mitte der Empore verlegt – an den üblichen Ort für eine Orgel. Und schliesslich soll die Empore etwas vergrössert werden. «So haben Musikerinnen und Musiker alle genügend Raum», sagt Keller. Er freut sich auf die neue Orgel: «Sie wird dann noch besser klingen», ist er überzeugt.
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Die Bevölkerungsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg regte Pfarreien in Zürich zum Ausbau ihrer Räumlichkeiten an. Auch die Errichtung einer katholischen Schule in Wiedikon war ein altes Postulat und schien vordringlich. Ab 1966 setzte Herz Jesu Wiedikon die lang ersehnte Schule gemeinsam mit der Unterkirche und einem Pfarreizentrum in einem Grossbauprojekt um. Die Zahl der Zürcher Katholikinnen und Katholiken stieg zwischen 1950 und 1970 um über 40 Prozent auf 167 374 an. Herz Jesu Wiedikon war die mit Abstand bevölkerungsreichste Pfarrei der Stadt und zählte zu Spitzenzeiten in den 1950er-Jahren bis zu 20 000 Mitglieder. Diese mussten in Seelsorge und Bildungsstrukturen integriert werden. Bereits die Mutterpfarrei St. Peter und Paul hegte zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Plan, eine Schule zu erbauen, nutzte aber dann die finanziellen Möglichkeiten, um die Pfarrei Herz Jesu zu gründen. Diese erhielt im Gegenzug dann den Auftrag, dereinst eine Schule zu errichten. Der erste Pfarrer, Christian Herrmann, legte 1923 mit einer Einlage von 50 Franken einen Schulfonds an und regte seine Gemeinde an, «dafür zu beten, dass die Frucht in 50 Jahren reifen möge». Fortan wurde in der Kirche mit entsprechenden Opferbüchsen für die katholische Schule gesammelt. Stiftung und Sammelaktionen 1952 gründeten die Pfarrer von Herz Jesu Wiedikon und Liebfrauen gemeinsam mit dem Präsidenten des Katholischen Schulvereins, Robert Hery, und der Generaloberin der Ingenbohler Schwestern, Sr. Diomira Brandenberg, die «Maria-Theresia-Stiftung» – benannt nach der ersten Ingenbohler Generaloberin Maria Theresia Scherer. Zweck der Stiftung war es, auf dem linken Limmatufer Zürichs Liegenschaften zu kaufen, um Schulen einzurichten. Ebenfalls sollte eine Mädchen-Sekundarschule mit Ingenbohler Lehrschwestern entstehen. Über die Jahre kamen bei Sammlungen zum Beispiel an einem Schulbasar im Kongresszentrum, aber auch mit Bettelbriefen, Bausteinaktionen und Vergabungen, 1,3 Millionen Franken zusammen. Doch es fehlte an Bauland im Quartier und so beschloss die Pfarreileitung, die Schule innerhalb des Pfarreigeländes als Teil eines Pfarreizentrums zu bauen. 1960 meldeten sich mehrere Architekten auf die Ausschreibung. Der Zürcher Rudolf Mathys wurde von der Baukommission mit der Ausarbeitung des Vorprojekts beauftragt und erhielt schliesslich den Zuschlag. Grossbauten erst nach der Anerkennung Die Sammlung der Mittel bildete den finanziellen Grundstein. Doch erst die öffentlich-rechtliche Anerkennung der römisch-katholischen Kirchgemeinden 1963 machte es möglich, den Bau von Schule und Pfarreizentrum zu realisieren. Nach eingehenden Beratungen durch den Stadtverband der Römisch-Katholischen Kirchgemeinden erhielt Herz Jesu Wiedikon den notwendigen Kredit für den Bau einer Unterkirche, des Pfarrhauses, von Vereinslokalitäten und einer Unterflurgarage. Sie sponserte auch einen Beitrag von 300 000 Franken zur Totalrenovation der Herz Jesu Kirche. Drei Bauverantwortliche waren involviert: Die Stiftung Herz Jesu Kirche als Besitzerin der Grundstücke, der Kirche und der Saal- und Wohnbauten, die römisch-katholische Kirchgemeinde Herz Jesu Wiedikon für die Unterkirche, das Pfarrhaus, zwei Kindergärten, Wohnungen und Garage sowie der Katholische Schulverein Zürich für Schulhaus und Turnhalle. Im Frühjahr 1964 startete dann der Betrieb einer Mädchenschule mit einer ersten Sekundar- und Realklasse in provisorischen Pavillons auf dem Pfarreigelände. Später verlegten die Verantwortlichen die Schule nach Schwamendingen – der Baulärm war zu gross. Der Spatenstich für das Pfarreizentrum erfolgte am 28. Dezember 1966. 1968 schliesslich begann der Bau des Schulhauses für 300 Kinder an der Aemtlerstrasse. Zank um die konfessionelle Schule Der Bau katholischer Schulen erregte in Zürich in den ausgehenden 1960er-Jahren Diskussionen. Die Volksschule als Ort konfessionsneutraler Bildung, wie es die liberale Mehrheitsgesellschaft im Kanton Zürich seit dem 19. Jahrhundert durchsetzte, war dem konservativen katholischen Bevölkerungsteil lange ein Dorn im Auge. Sie sahen eine religiös geleitete Erziehung als Gebot. Doch in den «Neuen Zürcher Nachrichten», der katholischen Tageszeitung Zürichs, wurden die konfessionsgebundenen Schulen durchaus kritisch hinterfragt. Waren diese wirklich noch notwendig und zeitgemäss? Die Pfarrer Rupert Blum von Herz Jesu Wiedikon und Hans Henny von der Liebfrauenkirche bejahten dies: «Unsere Schule schützt das Recht der Eltern, ihre Kinder nach ihrer Überzeugung erziehen zu lassen», meinten sie 1968 in einer gemeinsamen Schrift zum Schulhausbau. Blum und Henny waren sich sicher: «Im Sinne des Konzils erfüllt die Katholische Schule die grosse Aufgabe, eine Schulgemeinschaft zu schaffen, in welcher der Geist des Evangeliums, der Freiheit und der Liebe lebendig ist.» 1970 war der Ausbau von Schule und Pfarreizentrum beendet und konnte am 13. Juni feierlich eingeweiht werden. Folgender Stummfilm zeigt diesen Ausbau in Etappen – vom Beschluss bis zur Einweihung: 00:00 Intro
00:10 Sitzung Baukommission 01:50 Modell Pfarreizentrum 02:40 Erster Spatenstich am 28. Dezember 1966 03:22 Baubeginn 04:27 Abtransport Pavillons der Mädchenschule 07:33 Grossbaustelle I (Fundament) 12:07 Renovation Kirche 13:33 Grossbaustelle II 16:57 Sitzung 18:25 Grossbaustelle III 23:53 Rundumblick Baustelle und Aussenansicht 24:15 Neues kirchliches Zentrum und fertige Unterkirche 25:04 Malerarbeiten und Baustelle Schule 29:32 Aussenansicht fertige Bauten 30:35 Feierliche Einweihung Hinweise zu Personen und Ereignissen im Film sind willkommen! |