Vor genau einem Jahrhundert wurde die Kirche Herz Jesu Wiedikon eingesegnet. Rückblickend war es ein Start im Eiltempo. Ein Blick in die Jubiläumsschriften zeigt, wie sich das Selbstverständnis der Pfarrei seither verändert hat. Am 26. Juni 2021 feiert die Pfarrei Herz Jesu Wiedikon 100 Jahre Kircheneinsegnung. Ein Festtagswochenende zum Jubiläum und Patrozinium fand dieses Jahr schon am 12. und 13. Juni statt. Was genau wurde hier gefeiert, an welches Ereignis wurde erinnert? Vor 100 Jahren, am 26. Juni 1921, segnete der Bischof von Chur, Georg Schmid von Grüneck, im Beisein einer grossen Menschenmenge die Kirche Herz Jesu in Wiedikon ein. Erst diese in den Rahmen einer feierlichen Messe eingebettete Einsegnung ermöglichte die Nutzung des Kirchenraums für Gottesdienste. Am 1. Juli 1921 tritt das Dekret in Kraft Nachdem die Kirche Herz Jesu Wiedikon ab 1920 im Eiltempo innerhalb von zehn Monaten gebaut worden und im Juni 1921 im Rohbau nutzbar war, wurde auch rasch der kirchenrechtliche Status angepasst. Bisher gehörten die Wiediker Katholikinnen und Katholiken zur Pfarrei St. Peter und Paul in Aussersihl. Das bischöfliche Ordinariat bestimmte per Dekret am 15. Juni die Trennung dieser Pfarrei in zwei Pfarreien. Die neue Pfarrei mit Namen Herz Jesu erhielt den Neubau an der Aemtlerstrasse zur Pfarrkirche und den Vikar von St. Peter und Paul, Christian Herrmann, zum Pfarrer. Am darauffolgenden 1. Juli trat das Dekret in Kraft. Herz Jesu Wiedikon war nun eine selbständige Pfarrei mit eigener Pfarrkirche für die Katholikinnen und Katholiken aus dem Kreis 3 (Wiedikon) und jene aus dem Kreis 4 (Quartier Hard) links der Bahnlinie Richtung Hauptbahnhof. Ausbau von Kirche und Pfarrei Im Umfeld der Pfarrei entstanden bald neue Vereine, die den Alltag der katholischen Menschen in Wiedikon prägten: Dazu gehörten Gesangs-, Hilfs- und Bildungsvereine, aber auch Riegen, ein Fussballklub, ein Orchester und eine Handorgelgruppe. Die Pfarrei bot alles, was es für ein durch und durch katholisches Leben brauchte. Gerade in der Diasporasituation war man überzeugt, dass «das liturgische Geschehen allein» nicht genügte. Um so wichtiger waren Freizeitangebote, die in katholischem Rahmen stattfanden. Um den Aufbau dieses katholischen Milieus in Wiedikon bemüht war Pfarrer Christian Herrmann aus Obersaxen in Graubünden. Neben seinem Amt als Seelsorger wirkte er als Gründer und Präses der Vereine und kümmerte sich um den Aufbau weiterer Pfarreien am Friesenberg und im Hardquartier. Der von ihm ab Juli 1921 herausgegebene «Kirchenanzeiger Herz-Jesu Pfarrei Zürich» war «das Sprachrohr zu seiner Pfarrfamilie». Dort publizierte er Neuigkeiten aus der Kirchgemeinde, warnte vor «inneren und äusseren Feinden», belehrte seine Leserschaft und forderte sie zur Mitarbeit in der Pfarrei auf. Personen, die Pfarrer Herrmann noch selbst erlebt hatten, beschrieben ihn so: «Wie eine herrlich gewachsene Wettertanne stand er vor einem, von strotzender Gesundheit und elementarer Kraft. Wer ihm einmal begegnet war oder ihn gehört hat als gütiger Seelsorger oder als zielbewusstes und gestrenges Haupt der Pfarrgemeinde, als Katechet, als Vereinspräses oder Bauherr und Feldprediger, hat ihn sein Leben lang nicht mehr vergessen. […] In seinem Äusseren und in seinem Charakter, in seinen Anordnungen und in seiner Lebensweise glich er einer Feldherrengestalt.» Unter der Ägide von Pfarrer Herrmann begann auch der sukzessive Innenausbau der Kirche. Nach dem Einbau einer Kommunionbank 1922 kam auch im selben Jahr die neue Orgel erstmals zum Einsatz. Bereits 1926 eröffnete das Vereinshaus Johanneum neben der Kirche, benannt nach dem Pfarrer von St. Peter und Paul, Johannes Hildebrand, der mit seinen unzähligen Betteltouren die Finanzierung des Kirchenbaus ermöglicht hatte. Das Johanneum wurde zum eigentlichen gesellschaftlichen Zentrum der Pfarrei: Dort wurden Feste gefeiert, Spenden und Werbeaktionen vorbereitet, Pläne für Wanderungen und Lager geschmiedet, Vorträge gehört und Theater gespielt. Ein weiterer Höhepunkt war 1928 die Weihe der Glocken durch Bischof von Grüneck. Die derzeit in der Oberkirche stattfindende, reich bebilderte Ausstellung zu «Glocken für Herz Jesu» berichtet detailliert von diesem Anlass. Von der Diaspora zur selbstbewussten Gemeinde Die Gründungszeit der 1920er Jahre wurde auch in Schriften, die zu den bisherigen Jubiläen von Herz Jesu Wiedikon erschienen, beschrieben. Dort lässt sich zudem ablesen, wie sich das Selbstverständnis der Pfarrei über die Jahre veränderte: Wie sah sich die Gemeinde nach fünf, 25 und 50 Jahren? Die ersten fünf Jahre Pfarreigeschichte beleuchtete Pfarrer Christian Herrmann 1928 in seiner kleinen Broschüre «Saat und Ernte in der Diaspora». Zum 25-Jahr-Jubiläum 1946 dann gab der Kirchenanzeiger der Pfarrei Herz Jesu eine Sondernummer heraus: Die Erinnerung an die Situation der Diaspora der 1920er-Jahre, als die katholische Bevölkerung Wiedikons noch als «heimatlos» und «fremd» bezeichnet wurde, war zwar noch präsent. Doch schrieb man nun selbstbewusst: «Sie [die Gemeindemitglieder] sind nicht nur tief verwurzelt in ihrem katholischen Glauben, sondern stehen mit beiden Füssen auf Heimatboden, sind überzeugte Katholiken und Wiediker zugleich.» Katholisch Wiedikon sei vom «zarten Pflänzchen» zum «starken Baum» geworden. Zum 50-Jahr-Jubiläum schliesslich folgte 1976 ein fast 200 Seiten umfassendes, handliches Buch über die Geschichte Wiedikons und die Entwicklung des Pfarreilebens. Das kulturkämpferische Pathos war nun einem sachlicheren Ton gewichen. Das Wissen um die geschichtliche Entwicklung der Pfarrei sollte den Pfarreiangehörigen helfen, sich mit ihrer Kirche zu identifizieren.
Gleichzeitig war das Buch auch eine «freundliche Einladung zur Mitverantwortung und zum missionarischen Dienst in Pfarrei und Kirchgemeinde». Das Jubiläum und der Blick auf die eigene Geschichte sollte einen Anstoss geben, um über die Zukunft nachzudenken: «Das ernsthafte Nachdenken, was und wie es einmal war, ist für eine Standortbestimmung in der Gegenwart und eine Neubesinnung für die Zukunft notwendig, denn es liegt immer viel Vergangenes im Gegenwärtigen.» Mit dem gegenwärtigen Blog zur Geschichte von Herz Jesu Wiedikon soll dieses Motto auch für das 100-Jahr-Jubiläum weitergetragen werden und zum Nachdenken anregen. Der nächste Blog handelt von der Architektur der Kirche Herz Jesu und dem ab 1924 geplanten und 1925 erschaffenen Apsisbild und der Ausmalung der Kirche.
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