Rund drei Jahre lang waren sie nun mit der Kirche Herz Jesu Wiedikon verbunden: die Architektinnen Corinne Weber und Nina Andrea Renner. Über diese ganze Zeit hinweg behielten sie den Überblick über den komplexen und vielschichtigen Umbau der Ober- und der Unterkirche. Wir sitzen im Gesprächsraum der Oberkirche und können von hier in den Kirchenraum sehen. Was sind Ihre Lieblingsorte in der Kirche? Renner: Lieblingsorte können für Besuchende in Räumen oder in Bereichen der Kirche entstehen, in denen sie sich zum Gespräch oder zur Kontemplation einfinden und sich besonders wohl fühlen. Uns als Architektinnen interessiert das Stückhafte nicht. Nichts wirkt einzeln, die Einzelheiten fügen sich ins Gesamte ein. Eine übergreifende Idee verfolgen wir aber bis ins Detail, so finden sich die Gesamtheit und das Einzelne wieder in einer Ruhe und Ausgewogenheit. Viele Personen aus der Kirchgemeinde betonen diese Ruhe – aber auch die Wärme, die die Kirche nun ausstrahlt. Weber: Wir haben in der Oberkirche versucht, ausgehend von den bestehenden Formen eine Ordnung im gesamten Raum zu finden. Auch die Farbgestaltung ist nicht nur Anstrich, sondern materialisiert den Raum. Sie fügt sich in diese Ordnung ein und ist so elementarer Teil dieser Ordnung. Renner: Vor dem jüngsten Umbau stand das Gemälde der Apsis in seltsamem Bruch mit der in den 1970er-Jahren einheitlich in Weiss gestalteten Kirche. Ursprünglich war die Kirche ganz ausgemalt. Nun wollten wir das denkmalgeschützte Bild wieder in den Raum einbinden und haben daher Farben ausgewählt, die dies ermöglichen. Weber: Anders hingegen stellte sich die Aufgabe in der Unterkirche. Diese wurde in den 1970er-Jahren unterirdisch mit stimmungsvoller Tageslichtführung erbaut und ganz in Weiss gehalten. Die damalige Farbgestalt wurde hier beibehalten. Sie war Teil der räumlichen Idee. In der Unterkirche ging es primär darum, die Lichtführung wieder mit dem ursprünglichen Raumkonzept zu verweben und die über die Jahre zugefügten Elemente zu entfernen oder neu zu integrieren. Nichts wirkt einzeln, die Einzelheiten fügen sich ins Gesamte ein. Eine übergreifende Idee verfolgen wir aber bis ins Detail, so finden sich die Gesamtheit und das Einzelne wieder in einer Ruhe und Ausgewogenheit. (Nina Andrea Renner) In Ihren Unterlagen zum Planerwahlverfahren von 2020 schreiben Sie, für den Gesamtumbau wollten Sie eine «pragmatisch denkmalpflegerische Herangehensweise» wählen. Was heisst das genau mit Blick auf die nun umgebaute Kirche? Renner: Das Ursprüngliche, aber nicht mehr Vorhandene, konnte nicht mehr rekonstruiert werden. Etwas gänzlich Neues in Opposition zu setzen, hätte aber auch einen weiteren Bruch bedeutet. Wir suchten also nach einem Weg, aus den verschiedenen Zeitebenen mit geeigneten Interventionen wieder ein Ganzes zu schaffen. Es gab zum Beispiel in der ursprünglichen Kirche ein Band von Apostelbildern über dem Chorbogen. Diese Bilder haben die Wandfläche strukturiert. Ohne dieses Band waren Bogen und Wandfläche zur Decke schlecht proportioniert. Die zwölf Apostelbilder zu rekonstruieren, war nicht sinnvoll. Also haben wir mit den zeitgenössisch verfügbaren Mitteln dieses Band aus zwölf Marmorplatten wieder geschaffen. Sie erinnern nun an die Figuren, die ehemals den Raum prägten. Weber: Die Umgestaltung der Empore in den 1950er-Jahren und die darauffolgende Purifizierung der Kirche in den 1970er-Jahren haben die ursprüngliche Erscheinung der Kirche aus den 1920er-Jahren stark verändert. Vor diesem Hintergrund haben wir die Qualität des Bestehenden bewertet. Wir fragten uns: Was behalten wir? Was machen wir neu? Wie ergänzen wir sinnvoll? Wir wollten die verschiedenen Elemente einander zuordnen. Renner: Diese einzelnen Entscheidungen sind nicht mehr abzulesen, da sie sich nun zu einem Gesamten zusammenfügen. Es fällt zum Beispiel kaum auf, dass das Mittelschiff nun vierseitig von Rundbögen umgeben ist. Zuvor war dies nicht der Fall. Weber: Ja, genau. Wir haben die Agora-Situation, eine Art Versammlungsplatz, die in der ursprünglichen Kirche vorhanden war, mit effizienten, aber wirksamen Massnahmen wieder hervorgebracht. Die Empore musste aus statischen Gründen abgerissen und neu gebaut werden. Dabei haben wir wieder Rundbögen im Eingangsbereich schaffen können, welche die Bögen der Seitenschiffe in ihrer Logik ergänzen. Für die Säulen der neuen Empore haben wir aber bewusst einen anderen Stein und eine andere Ausformulierung gewählt, die den tieferen Raum unter der Empore kraftvoll fassen können. Renner: Die Empore bildet dabei die neue vierte Fassade, die gemeinsam mit den Seitenschiffwänden und dem Chorbereich den Hauptraum umschreibt. Die gedankliche Verbindung mit der Agora gefällt uns, sie assoziiert, dass der Kirchraum als Teil des öffentlichen Raums verstanden werden kann. Das Gebäude ist tagsüber offen und zugänglich. Für manche kann es einen Ort der Begegnung, für andere ein Ort der Kontemplation oder der Stille sein. Weber: Solche Freiräume gibt es selten. Wir wollten die Öffentlichkeit dieses Raums mit den uns zur Verfügung stehenden architektonischen Mitteln wieder spürbar machen. Wir fragten uns: Was behalten wir? Was machen wir neu? Wie ergänzen wir sinnvoll? (Corinne Weber) Gab es auch architektonische Ideen, die Sie verwerfen mussten, oder Kompromisse, die Sie eingehen mussten? Renner: Die Arbeit von der ersten Idee bis zur fertigen Umsetzung ist ein kontinuierlicher Prozess. Wir entwickelten und präzisierten das Projekt in regem Dialog mit der Baukommission und in intensivem Austausch mit den beteiligten Fachplanern und Unternehmern weiter. Kompromiss wäre in diesem Zusammenhang ein unpassendes Wort, denn ihm haftet an, dass es Abstriche gab. Wir suchten vielmehr nach Wegen, die verschiedensten Anforderungen zu integrieren. Weber: Als Architektinnen haben wir die Chance, uns für die gebaute Umwelt einzusetzen. Darum ist der Dialog mit allen Menschen, die am Projekt beteiligt sind, wichtig. Viele der Arbeiten waren aus baulichen Gründen zwingend. Dazu gehört etwa, dass die Decke neu verankert und das Dach neu gedeckt und gedämmt werden mussten. Auch hatten die elektrischen Anlagen und die Wasserleitungen ihre Lebenszyklen überschritten und wurden ersetzt. Renner: Diese Massnahmen sollten beim Erleben des Raums nicht im Vordergrund stehen. Wir wollten sie dem Gesamten einfügen. Auch bei den Steinbänken oder den Holzelementen, welche teilweise die Heizelemente integrieren, suchten wir nach der passenden Form, ohne deren technische Notwendigkeit formal zu inszenieren. Rückblickend betrachtet: Was macht den Reiz eines Kirchenumbaus aus? Weber: Kirchen sind kulturelle Denkmäler, die öffentlich zugänglich sind. Das war für uns der Ansporn, einen schönen Raum zu gestalten. Renner: Auch stellt ein Gebäude wie eine Kirche Anspruch an eine lange Beständigkeit – ein Aspekt, der uns grundsätzlich interessiert und integrativer Teil echten nachhaltigen Bauens ist. Dabei sind natürlich technische Lösungen wichtig, die Bestand haben, aber ebenso die verwendeten Materialien, die überdauern. Und nicht zuletzt zählt die Schönheit in der räumlichen Ordnung, die Generationen später noch Gültigkeit besitzt. Blick auf die Kirche Herz Jesu von aussen – und in ihren Innenraum. Nutzende mögen die Farben und die Ruhe der Kirche. Bilder: Schaub Stierli Fotografie.. Blick in die umgestaltete Unterkirche. Die Architektinnen legten bei der Arbeit Wert auf Details, die sich ins Ganze einfügen. Bilder: Schaub Stierli Fotografie.
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September 2024
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