Bis in die 1960er-Jahre waren alle katholischen Pfarreien in Zürich auf freiwillige Beiträge ihrer Mitglieder angewiesen. Kirchensteuern gab es noch nicht, da die römisch-katholische Kirche im Kanton nicht als Körperschaft anerkannt war. Dies änderte sich erst 1963. In Wiedikon war dies der Startschuss für ein Grossbauprojekt. Bis 1963 waren Zürcher Pfarreien als Stiftungen organisiert und unterstanden wie Vereine dem Privatrecht. Die Pfarreien erhielten also keine Kirchensteuern, sondern konnten nur an ihre Mitglieder appellieren, damit diese ihre Kirche mit freiwilligen Abgaben unterstützten. Auch aus der inländischen Mission, die Unterstützung für die Diaspora bot, erhielten die Zürcher Pfarreien Beiträge. Die Pfarrer und die «Einzüger» waren daher regelmässig auf «Betteltouren», um grössere Vorhaben finanzieren zu können. So erging es auch Pfarrer Benjamin Simmen, der von 1934 bis 1954 in Herz Jesu Wiedikon als Pfarrer amtete. Er war gewissermassen Manager der Pfarrei und als solcher Präsident, Kassier sowie Verwalter in Personalunion. Zwar hatte er einen Kirchenrat an seiner Seite, dieser hatte jedoch keine Kompetenzen. 1947 wurde die «Römisch-katholische Pfarrkirchenstiftung Herz Jesu Kirche» gegründet, die Rechtsträgerin für das Vermögen der Pfarrei und ihre Liegenschaften wurde. Finanzielle Angelegenheiten konnten von nun an über den Stiftungsrat geregelt werden. Doch erst das Kirchengesetz von 1963 brachte Entspannung bei der Mittelbeschaffung, weil fortan der Staat Kirchensteuern für die römisch-katholische Kirche einzog. Der Weg zur öffentlich-rechtlichen Anerkennung war aber lang. Der bekannteste Zürcher Katholik war ein Wiediker An vorderster Front setzte sich der 1897 in Wiedikon geborene Alfred Teobaldi über Jahrzehnte für die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholischen Kirche im Kanton Zürich ein. Im Historischen Lexikon der Schweiz wird er als «wohl der bekannteste Zürcher Katholik des 20. Jahrhunderts» bezeichnet. Teobaldi prägte die Entwicklung der römisch-katholischen Kirche im Kanton wie kein anderer. Neben der kirchenpolitischen Tätigkeit und der Einigung der katholischen Bevölkerung setzte er sich für Bildungs- und Caritasanliegen sowie für die Spezialseelsorge in Heimen und Gefängnissen ein. 1956 wurde Teobaldi erster Generalvikar Zürichs, wobei das Generalvikariat auf seinen Wunsch hin auf dem Bühl in Wiedikon eingerichtet wurde. Er organisierte zudem mehrere Zürcher Katholikentage – demonstrative, gross inszenierte Zusammenkünfte Zürcher Katholikinnen und Katholiken – und machte dort seine Forderungen publik. So am letzten Katholikentag 1957 vor 16 000 Personen im Zürcher Hallenstadion. Er prangerte an, dass Zürich «die grösste katholische Stadt der Schweiz» und der Kanton zum «grössten katholischen Kanton» geworden war, ohne diese inzwischen auf 25 Prozent gewachsene Minderheit öffentlich-rechtlich anzuerkennen. Doch auch in den eigenen Reihen kritisierte er, dass viele Katholikinnen und Katholiken der Kirche passiv gegenüberstanden und folgerte: «Katholisch-Zürich muss katholischer und muss zürcherischer werden.» Und als Zürcher wollten sie als vollwertige Bürger anerkannt werden. Endlich eine eigene Kirchgemeinde Am 7. Juli 1963 stimmte das Zürcher Stimmvolk mit 88 256 Ja- gegen 38 161 Nein-Stimmen für die Änderung der Zürcher Staatsverfassung. Sie ermöglichte das gleichentags ebenfalls, wenn auch weniger deutlich, angenommene Gesetz über das katholische Kirchenwesen. Nun waren endlich die Voraussetzungen zur Gründung von römisch-katholischen Kirchgemeinden geschaffen! Mit der offiziellen Bezeichnung «Römisch-katholische Kirchgemeinde Zürich-Wiedikon» konstituierte sich als eine von 67 Kirchgemeinden im Kanton auch die Wiediker Kirchgemeinde am 2. Dezember 1963. Stimmberechtigt und wählbar waren in Wiedikon wohnhafte römisch-katholische Volljährige – ab 1964 auch Frauen, ganze sechs Jahre vor dem kantonalen Stimmrecht. Das Gesetz über das katholische Kirchenwesen war zwar auf die römisch-katholische Kirche abgestimmt, gewisse Forderungen der Zürcher Regierung, wie die Einführung der Wahl von Kirchenpflegen und die Amtswahl für Pfarrer, hatten darin aber analog zur reformierten Kirche aufgenommen werden müssen. Dies führte zu Demokratisierungsprozessen in den katholischen Gemeinden, die zum Teil dem kanonischen Recht widersprachen: Statt dem Bischof hatte nun die Kirchgemeinde das Recht ihren Pfarrer zu wählen oder abzusetzen. In diesem Spannungsfeld bewegten sich die Mitglieder der neuen Kirchgemeinden und die Geistlichkeit. Herz Jesu baut aus Neuerungen brachte die öffentlich-rechtliche Anerkennung auch in administrativer und finanzieller Hinsicht: Eine Pensionskasse für die Mitarbeitenden von Pfarreien wurde geschaffen, in der Stadt Zürich wurde ein einheitlicher Steuerfuss für die 22 Kirchgemeinden eingeführt und die Subventionierung kirchlicher Bauten in der neugeschaffenen Zentralkommission traktandiert. Von letzterer profitierte auch Herz Jesu Wiedikon. Bereits in der zweiten Sitzung besetzte die Kirchgemeinde die Mitglieder der Baukommission. Am 28. Dezember 1966 folgte der Spatenstich für das lange geplante bauliche Grossprojekt: Renovation der Kirche, Bau der Unterkirche mit weiteren 300 Sitzplätzen, Pfarrhaus und Verwaltungsbau, Vereins- und Jugendräume und der Schulhausbau. Fortsetzung folgt: Im nächsten Blog erfahren Sie mehr zur Grossbaustelle der 1960er-Jahre und zur Schule in Herz Jesu Wiedikon.
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