Im Kirchturm der Kirche Herz Jesu Wiedikon hängen seit 1928 sechs Glocken. Es handelt sich dabei um das vierte Geläute für eine katholische Kirche in der Stadt Zürich seit der Reformation: St. Peter und Paul hatte schon 1896 fünf Glocken bekommen, die Liebfrauenkirche 1897 sechs Glocken, 1912 folgte St. Anton mit ebenfalls sechs Glocken. Von Stefanie Faccani, Kunsthistorikerin lic. phil. und Katechetin Die Glocken in Herz Jesu Wiedikon wurden von der damals international tätigen thüringischen Hofglockengiesserei Franz Schilling Söhne in Apolda gegossen. Diese hatte den Ruf, europaweit die beste zu sein. Bereits seit 1922 hatte diese Giesserei Kirchenglocken in die Schweiz geliefert – für die Pfarreien in Neuhausen, St. Margrethen, Männedorf, Melchtal, Bülach, Wolhusen und Grengiois. Zeitgleich zur Pfarrei Herz Jesu Wiedikon bekamen 1928 die Pfarreien Schüpfheim, Vernamiège und Magliaso ebenfalls Glocken dieser Giesserei. Bei der Festpredigt zur Weihe am 30. September sagte Pfarrer Christian Herrmann in Anspielung darauf, dass das Erz für die Glocken von alten Kanonen stammte: «Dasselbe Erz, das Mord und Hass gespieen, wird nun geweiht und geheiligt und soll Frieden rufen und zum Gebete auffordern, zum gemeinsamen Flehen um den Geist der Liebe.» Diese Aufgabe nimmt seither jede der sechs Glocken wahr in ihrer Eigenheit, bestimmt durch Grösse, Klang und Namen. Die Grösste: die Herz-Jesu-Glocke (B, 4168 kg) Die Herz-Jesu-Glocke ist die grösste und nach dem Patrozinium der Pfarrei, dem Herzen Jesu, benannt. Nachdem die Glocke einen Sprung bekommen hatte, musste sie 1984 ersetzt werden. Im Kirchturm hängt seither eine Replik, gegossen in der Nachfolgegiesserei von Franz Schilling Söhne, Carl Metz GmbH in Karlsruhe. Die ursprüngliche Glocke ist nun auf dem Kirchhof aufgestellt und lässt sich dort betrachten: Auf der einen Seite ist ein Bild von Jesus mit ausgestaltetem Herzen, auf der anderen die Kirche selbst abgebildet. Die lateinische Inschrift lautet in deutscher Übersetzung: «Herz Jesu, des Sohnes des ewigen Vaters, erbarme dich unser. – Herz Jesu, unsere Hoffnung auf Erden, sei unser Lohn im Himmel.» Mit diesen Worten wird das Herz Jesu angerufen, das Symbol der Liebe. Die Verehrung des Herzens Jesu gründet seit den Kirchenvätern auf dem biblischen Bericht der durchbohrten Seite des Gekreuzigten im Johannesevangelium (Joh 19, 34): «[…] einer der Soldaten stiess mit der Lanze in seine Seite und sogleich floss Blut und Wasser heraus.» Die geöffnete Seite Jesu wurde als Quelle der Sakramente gesehen, das Blut für die Eucharistie, das Wasser für die Taufe. Im Mittelalter wurde das Herz Jesu in der deutschen Mystik verehrt. Im 17. Jahrhundert setzte sich der 1925 heiliggesprochene Johannes Eudes in Frankreich für die Verehrung des Herzens Jesu in Gottesdiensten ein, der erste solche Gottesdienst fand 1672 statt. Gleichzeitig engagierte sich die französische salesianische Ordensfrau Marguerite-Marie Alacoque (1647–1690; 1920 heiliggesprochen) aufgrund von Visionen für das Erbauen und Benennen von Kirchen zur Ehre des Herzens Jesu und für dazu bestimmte Festtage, nämlich jeder erste Freitag im Monat und der zweite Freitag nach dem Fronleichnamsfest. 1856 führte Papst Pius IX. den zweiten Freitag nach Fronleichnam als Herz-Jesu-Festtag ein, seit 1890 ein Hochfest. Vor diesem historischen und theologischen Hintergrund wurde die Kirche in Zürich-Wiedikon dem Patronat des Herzens Jesu anvertraut und zu dessen Ehre, der Liebe Jesu Christi, erbaut. Bis heute wird an jedem ersten Freitag ein Gottesdienst zur Verehrung der Herzens Jesu gefeiert. In der Oberkirche ist Marguerite-Marie Alacoque im Apsisbild von Felix Baumhauer als zweite von links in schwarz-weisser Ordenstracht dargestellt. Für die Stadtpatrone: die Dominicusglocke (C, 2874 kg) Die Dominicusglocke ist die zweitgrösste im Turm und zeigt das Bild des heiligen Dominicus (1170-1221), der den Betrachtenden ein offenes Buch entgegenhält. Dominicus gründete 1215 in Toulouse den Dominikanerorden, den Orden der Predigerbrüder, um die römisch-katholische Lehre zu verbreiten. Auf der Glocke ist in Latein zu lesen: «Heilige Felix und Regula, Patrone der Stadt, betet, dass des wahren Glaubens Licht wieder allen leuchte. – Heiliger Dominicus, erbitte uns Glaubenstreue. Mich hat als Frucht unzähliger Mühen und Opfer Dominicus Marty 1928 gestiftet.» Die Heiligen Felix und Regula bezeugten und lebten nach der Legende ihren christlichen Glauben während der Christenverfolgung um 300 und starben den Märtyrertod in Zürich. In der Inschrift auf der Glocke spricht sie selbst und verrät, dass sie von Dominicus (Dominik?) Marty gestiftet worden ist. Für die Frauen: die Immaculataglocke (D, 1938 kg) Die Immaculataglocke ist die drittgrösste; auf ihr ist die Verkündigung Mariae dargestellt. Die Inschrift lautet: «Der Jungfrau der Jungfrauen zu Ehren gestiftet von den Jungfrauen der Herz Jesu Pfarrei. – Sei gegrüsst Du Gnadenvolle. – Und das Wort ist Fleisch geworden.» Der Name Immaculata (lat. für «unbefleckt») bezieht sich auf Maria, die Mutter Gottes als «Unbefleckte». Die Glocke ist von den «Jungfrauen» der Herz Jesu Pfarrei gestiftet. Die Jungfrauenkongregation in Herz Jesu Wiedikon war am 9. Oktober 1921 von Pfarrer Christian Herrmann als einer der ersten Vereine in der Pfarrei gegründet worden. Die Jungfrauen- (oder auch Marianische) Kongregation ist ursprünglich eine Gründung des Jesuitenpaters Jean Leunis 1563. Diese wurde von Papst Gregor XIII. 1584 bestätigt. In der Not: die Armenseelenglocke (F, 1119 kg) Die Armenseelenglocke ist die viertgrösste und trägt ein Bild mit dem heiligen Josef. Die Inschrift lautet in deutscher Übersetzung: «Erbarme dich, oh Herr, der armen Seelen. Des Todes stets gedenkend wirst du heilig leben. – Heiliger Josef, steh uns bei in letzter Not.» Mit «du» angesprochen ist wohl der Mensch, der hier an seine Sterblichkeit und Möglichkeit, «heilig» zu leben, erinnert wird. Angesprochen wird auch der biblische heilige Josef, der seine Verlobte Maria und den Gottessohn Jesus vor den Menschen und dem Tod beschützte, indem er seinen Träumen glaubte und danach handelte. Für die Jungen: die Georgiusglocke (G, 768 kg) Die Georgiusglocke ist die zweitkleinste und trägt ein Bild mit dem heiligen Georg. Im Bild sind die Worte «HEILIGER GEORG BESCHÜTZE UNS» zu erkennen. Die Inschrift lautet: «Ich künde die Ehre des heiligen Georgius, des Jugendpatrons und halte das Andenken an den Hochwürdigen Bischof Georgius wach. – Mich hat der treueste Wohltäter dieser Kirche gestiftet, Otto Studer-Muther von Escholzmatt.» Der heilige Georg gilt als Märtyrer, der während der Christenverfolgung um 300 starb. Der Legende nach besiegte er einen zerstörerischen, todbringenden Drachen mit der Lanze, Symbol für das Böse. Georgius war auch der Vorname des Churer Bischofs, der die Glocken in Herz Jesu Wiedikon 1928 weihte. Die Kleinste: die Schutzengelglocke (B, 453 kg) Die Schutzengelglocke ist die kleinste im Geläute von Herz Jesu. Auf ihrer einen Seite ist ein Bild mit einem Kind und einem Engel und die Inschrift in Deutsch «GESTIFTET VON DEN 1100 SCHULKINDERN DER HERZ JESU PFARREI 1926-1928» zu erkennen. Auf der anderen Seite ist Jesus als Kind abgebildet mit der Inschrift «O DU LIEBES JESUSKIND, GIB, DASS MIT DEN ENGELN DROBEN WIR DICH UND DEINE MUTTER LOBEN». Der theologische Bezug zum Schutzengelglauben liegt im biblischen Matthäusevangelium 18,10, wo Jesus ein Kind in die Mitte der versammelten Jünger stellte und ihnen sagte: «Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.» Die «Kleinen» und «ihre Engel»: Den Menschenkindern werden hier Engel zugeordnet. Altkirchliche Autoren fanden hier das seit der Antike bekannte Verständnis bestätigt, dass jeder Mensch einen persönlichen Schutzgeist hat, einen «genius». So klingen die Glocken in Herz Jesu Wiedikon heute:
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In der Kirche Herz Jesu Wiedikon sind seit Jahrzehnten nicht nur Katholikinnen und Katholiken deutscher Muttersprache zuhause, sondern auch Polen, Tamilen und Tschechen. Die polnische Mission gibt es bereits seit 1950, die anderen zwei Missionen feiern 2021 ein Jubiläum – die tschechische entstand vor 50, die tamilische vor 25 Jahren. Bereits seit 1898 gibt es in Zürich eine italienische Mission, die Missione cattolica italiana (MCI). Sie ist nach wie vor die grösste. Vor allem ab den 1950er-Jahren entstanden weitere Missionen, um Menschen verschiedener Herkunft eine kirchliche Heimat und Seelsorge in der Muttersprache zu bieten. Ein Drittel der Katholikinnen und Katholiken im Kanton Zürich haben mittlerweile einen ausländischen Pass und viele Schweizerinnen und Schweizer sind mit einer anderen Sprache als Deutsch im Gottesdienst vertraut. Inzwischen gibt es 26 verschiedene Missionen im Kanton Zürich – von A wie Albanisch bis V wie Vietnamesisch. Messe auf Polnisch, Tamilisch, Tschechisch Drei dieser Missionen sind in ihrer Geschichte eng mit Herz Jesu verbunden, hier gibt es regelmässig Gottesdienste in Polnisch, Tamilisch und Tschechisch. Auch wenn sich die drei Sprachen voneinander unterscheiden, so vereint zwei von ihnen ein Jubiläum: Vor 50 Jahren entstand die tschechische und vor 25 Jahren die tamilische Mission. Die polnische Mission in der Schweiz ist bereits 71-jährig. «Vor der Pandemie gingen jedes Wochenende rund tausend Leute in unserer Kirche Herz Jesu ein und aus», sagt Pfarreileiter Artur Czastkiewicz. Er leitet im Kanton Zürich die Polenmission und ist somit für die Seelsorge von rund 9000 Polnischsprachigen zuständig. «Missionen bereichern das Pfarreileben», sagt er. In seiner früheren Funktion als bischöflicher Beauftragter für die Migrantenseelsorge in den Kantonen Zürich und Glarus erlebte er die ganze Vielfalt der anderssprachigen Missionen. «Das Christsein und die gemeinsame Katholizität lässt sich sehr vielfältig leben», sagt er. Für Herz Jesu Wiedikon sind ihm die gemeinsamen Anlässe wie der «Tag der Völker» oder der monatlichen deutsch-polnischen Freitagsgottesdienst ein grosses Anliegen. Eine internationale polnische Community Bereits im 19. Jahrhundert gab es hierzulande polnische Arbeiterinnen und Arbeiter, doch erst mit dem Zweiten Weltkrieg kamen grössere Gruppen von Polen in die Schweiz – 1940 strandete die 2. Polnische Schützendivision, bestehend aus 12 000 Soldaten, in Goumois im heutigen Kanton Jura. Ein Teil der Soldaten lebte in der Schweiz erst als Internierte und blieb dann hier. Andere Polinnen und Polen kamen als Arbeiter in die Schweiz, zum Beispiel bei Sulzer in Winterthur. Um die Seelsorge zu gewährleisten, gründete Josef Maria Bochensky, Professor in Fribourg, im Juni 1950 eine nationale polnische Mission und las Messen sowohl in der Westschweiz als auch in Winterthur. Bald wurden auch in der Stadt Zürich polnische Gottesdienste abgehalten – erst in der Kapelle des Spitals Theodosianum, dann in Liebfrauen, später in Herz Jesu Wiedikon. Heute leben rund 30'000 katholische Polinen und Polen in der Schweiz. Herz Jesu Wiedikon ist die Hauptkirche der polnischen Katholikinnen und Katholiken in den Kantonen Zürich und Glarus: Hier finden jeden Sonntag eine oder zwei Messen auf Polnisch statt. Die Besucherinnen und Besucher der Gottesdienste sind vor allem Berufsleute zwischen 30 und 40 – teilweise mit Familien. «Wir haben eine sehr junge Gemeinde», sagt Czastkiewicz. Viele arbeiten in akademischen Berufen, andere in der Landwirtschaft. 50 Jahre tschechische Mission Die Entstehung der tschechischen Mission ist eng mit den Unruhen in der damaligen Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) verbunden, die ab 1968 viele Familien in die Flucht trieb. So auch die Familie von Mirjam Nemecek-Job, die mit ihren Eltern als Zweijährige ins Zürcher Oberland kam. Bereits zu diesem Zeitpunkt gab es tschechische Seelsorger, die im Kanton Zürich Gottesdienste feierten. Die Familie Job besuchte in Tann-Rüti die Messe, wobei einmal im Monat ein Gottesdienst in Tschechisch gehalten wurde, an dem jeweils zwanzig bis dreissig Tschechischsprachige aus der Region teilnahmen. Bald schon arbeitete Mirjam Nemecek-Jobs Mutter als Sekretärin für Pater Josef Šimčík, einen Salesianer, der seit der offiziellen Gründung 1971 die tschechische Mission leitete und stark prägte. Hauptort der tschechischen Mission war die MCI in Aussersihl, die ebenfalls von Salesianern geführt wurde und wird. Bis heute finden tschechische Gottesdienste in der MCI und in Herz Jesu Wiedikon statt. Tschechische Lieder Der umtriebige Pater Josef Šimčík bemühte sich um eine lebendige Gemeinde, veranstaltete Feste, Einkehrtage, Wallfahrten und Reisen für Jugendliche und Ferienlager für die Kinder aus dem ganzen Kanton und darüber hinaus. Aus dem Züricher Oberland kamen die Kinder in die Stadt, um hier samstags die «tschechische Schule» mit Sprach-, Geografie- und Geschichtsunterricht zu besuchen. Bei den verschiedenen Veranstaltungen der Mission wurde viel gesungen: «Ich kenne Hunderte von tschechischen Liedern», erzählt Mirjam Nemecek-Job rückblickend. Heute werden die schweizweit rund 1600 katholischen Tschechinnen und Tschechen von Pater Antonin Spacek betreut, der wie bereits Pater Josef Šimčík nicht nur in Herz Jesu Wiedikon, sondern in der ganzen Deutschschweiz Messe liest. Herz Jesu Wiedikon ist für die katholischen Tschechinnen und Tschechen nach wie vor ein wichtiger Ort: Im Spätsommer feierten sie hier das 50-jährige Bestehen der Mission. Tamilische Ministrantinnen Für die Seelsorge von 7100 Personen ist die ebenfalls national organisierte tamilische Mission zuständig, die jeden ersten und dritten Sonntag im Monat in Herz Jesu einen Gottesdienst feiert – neben einem weiteren Gottesdienst in Seebach jeweils jeden zweiten Donnerstag im Monat. Ihre Ministrantinnen und Ministrantinnen hingegen sind Teil des Teams in der Pfarrei und auch in den deutschen Gottesdiensten tätig. «Unsere Kinder sind nicht nur in unserer Mission aktiv, sondern in den Pfarreien wie beispielsweise in Herz Jesu Wiedikon gut integriert», erzählt Johnson Thiruchelvam, Sekretär der Tamilenmission in der Schweiz. 2021 feiert die tamilische Mission ihr 25-Jahr-Jubiläum seit der Gründung 1996. Mit dem Bürgerkrieg in Sri Lanka kamen ab Mitte der 1980er-Jahre erst viele sri-lankische Männer, dann auch Frauen in die Schweiz – viele von ihnen Buddhisten, Hindus, Muslime, aber auch Christen, die rund einen Zehntel der sri-lankischen Bevölkerung ausmachen und primär der Römisch-katholischen Kirche angehören. Zürich als zentraler Ort der Tamilen Achtzig bis hundert Personen nehmen jeweils an den Gottesdiensten in Herz Jesu Wiedikon teil. «Wiedikon ist ein wichtiger Standort, auch weil er so zentral ist», sagt der in Luzern domizilierte Thiruchelvam. Der tamilische Pfarrer, Soosaithasan Douglas Milton Logu, reist durch die ganze Schweiz: Er liest in Bern, Genf oder Sion Messe. – Und auch im Kloster Mariastein im Kanton Solothurn, einem wichtigen Ort für die katholischen Tamilinnen und Tamilen in der Schweiz. Höhepunkt im liturgischen Jahr ist nämlich die Wallfahrt hierhin nach Maria Himmelfahrt im August, zu der jeweils 2000 bis 2500 Gläubige pilgern. Hoffnung auf die Jungen setzen
Für alle drei Missionen ist die Jugendarbeit ein zentrales Thema. Der tschechische Seelsorger, Pater Antonin Spacek, schreibt in einem Bericht zum 50-jährigen Bestehen seiner Mission, dass viele Kinder der zweiten oder dritten Generation in die Schweizer Pfarreien integriert seien. Sowohl bei der polnischen wie bei der tamilischen Mission wird betont, wie wichtig die Jugendarbeit sei. «Wir müssen ein Vorbild sein für die jüngere Generation», findet Thiruchelvam. Nach der Pandemie will er wieder anknüpfen an die Zeit zuvor und erneut Jugendtreffen organisieren – wie 2018 in Flumserberg: «Neben unseren Jugendlichen waren auch zwanzig Personen aus Deutschland dabei», erzählt er. Auch Czastkiewicz ist optimistisch: «Es gibt einen grossen Bedarf nach Zusammensein.» Die Jugendvereine wie Pfadi, Jungwacht und Blauring boten Kindern und Jugendlichen ein abwechslungsreiches Freizeit- und Ferienangebot. Sie schufen ausserdem eine Grundlage zur Identifikation mit der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon. Nach Ursula Abbt erzählt Jean-Jacques Hossmann aus seiner Zeit in der Pfadi. Jean-Jacques Hossmann wurde 1945 in Zürich geboren und wuchs in Wiedikon auf. In der Pfarrei Herz Jesu war er als Ministrant, später als Präsident der Kirchenpflege und Vizepräsident der Kirchenstiftung engagiert. Für ihn bedeutet Herz Jesu Wiedikon Heimat. Warum hat Jean-Jacques Hossmann Ende Oktober in einem Gottesdienst erläutert: Im Jahr 1952 bin ich i d’Wölf iträte, als Wolf, dänn Vizeleitwolf und Leitwolf, aschlüssend dänn i Pfadi, als Pfadi, Jungvenner, Venner (Gruppeleiter vo de Gruppe Star) dänn Zugfüherer vom Zug Melchtal. Es hät drü Züg gäh, Melchtal, Rotach und Bubenberg das isch dänn de Trupp Uto gsii i jedem Zug hät’s mindeschtens drü Gruppe gha mit je sechs bis acht Pfadis. Das heisst, es hät i dere Ziit öppe 70 bis 100 Pfadi gha. Wer zum Pfadialter use cho isch, hät chönne e Roverrotte gründe. Zu minere Pfadiziit hät’s zwei oder drü Roverrotte gäh. Mit emene grosse Teil vo däne, wo no läbed, han ich hüt no Kontakt. Sälber han ich dänn mit em Cicero, mim Vorgänger im Amt, d‘Roverrotte Schokaku gründet, mit eusne Pfadifründe. Am Cicero sin Vater isch übrigens Mitgründer gsi vo de Pfadi Uto, under anderne mit em Richard Kälin, wo ja langi Jahr Guetsverwalter i eusere Chilegmeind gsi isch. I de Pfadi wird mer au nomal tauft, aber nöd i de Chile, sondern im Wald mit ere Muetprob und chunnt dänn en Pfadiname über. Miin Name isch Wäspi gsi, aber da gits ganz verschideni Näme, so zum Biispiel Cicero, Sprutz, Alpha, Mus, Pilz, Chnoche, da gäbt’s e endlosi Lischte! Was au no interessant isch, isch, dass die Pfadinäme sehr oft sehr guet passed. I dä momäntane Fotiusstellig (i de Oberchile vo Herz Jesu) häts ja diversi Fotis vo Wölflilager, Pfadilager, Höhleexpeditione im Nidleloch (Wissestei bi Soloturn) oder Hölloch im Muotathal (SZ), Familieöbig mit Theater und Gsang. I däre Ziit häts au e Jungwacht gäh, da chan i nöd e so viil dezue säge, aber grundsätzlich isch es ähnlich zue und her gange und isch ungefähr gliich gross gsii wie Pfadi. Natürli isch das au immer echli en Konkuränzkampf gsii und meh hät sich gägesiitig höchgnoh. Jedi Partei hät natürli s’Gfühl gah, besser s‘zi als die andere. Mit dä Ziit hämer das aber chöne ächli usgliche, bi de Höllloch-Expeditione, won ich organisiert han, hämer au es paar Mal Jungwächter mit debii gha. Wo de Vikar Walter Wiest bi euis i d’Pfarrei cho isch, isch er dänn de Präses vo dä Pfadi und Jungwacht worde und hät euis i däre Funktion sehr viil mit uf euise Läbeswäg gäh. I de Lager hät er immer wieder tolli Altär gmacht. Er hät dänn en Knabechor gründet, wo ich, wie chönts anders sii, au mitgmacht han. Er hät für eusi Theater au Lieder gmacht mit enere bekannte Melodie und emene neue Text, wo dänn zum Theater passt hät. Er hät euis begeisteret und mitgrisse, defür bin ich ihm immer no dankbar. Am Sunntig Morge häts e Christelehr gäh, bi ihm händ die vo de erste und zweite Oberstufe Christelehr gha, da isch de Johanneumssaal jewils pumsvolle gsii. Au vo Jugendliche, wo gar nüme i däm Alter gsii sind.
Näbscht dene Jugendverein, häts natürli au no ä Männerkongregation und en Männerturnverein gäh. Da bin ich aber nie debii gsi. Bim Fäschtgottesdienst vo 100 Jahr Herz Jesu Wiedikon han ich erwähnt, dass da mini Heimat gsii isch. Genau us däm Grund han ich mich au iigsetzt fürs neue Johanneum, ich ha welle, dass au künftige Generatione d’Möglichkeit bote werde chan, sich da diheime z’fühle. Es isch au en Grund, warum ich mich au hüt no für Herz Jesu Wiedikon iisetze und engagiere. Ziite händ sich gänderet, es bestönd anderi Bedürfnis, weder besseri no schlächteri, aber d’Mögichkeit isch gäh, s’Richtige drus z’mache. Vereine machten seit Beginn einen wichtigen Teil des Pfarreilebens aus – zeitweise gab es wohl an die zwanzig Vereine in Herz Jesu Wiedikon. In diesem Beitrag erzählt Ursula Abbt von ihrer Zeit im Blauring und Frauenverein. Die Tätigkeiten der Vereine in Herz Jesu Wiedikon waren unterschiedlich: Einige kümmerten sich um kirchliche Anliegen wie die Musik oder die Paramente, andere waren der Fürsorge verpflichtet. Ebenso gab es Vereine für Arbeiterinnen oder Angestellte, für Kinder und Jugendliche. Dies seit den ersten Tagen der Pfarrei vor einem Jahrhundert. In der Freizeit etwas erleben – 18 Jahre im Blauring Im Archiv sind die Vereine zwar dokumentiert, aber über das Vereinsleben insgesamt lässt sich am meisten erfahren durch Erzählungen, so zum Beispiel von Ursula Abbt. Sie kam 1940 zur Welt und wuchs in Wiedikon auf. Nach ihrer pädagogischen Ausbildung war sie eine der ersten römisch-katholischen Primarlehrerinnen im Schulkreis Letzi – das gab es zuvor nicht. In ihrer Kindheit und Jugend spielte der Blauring eine grosse Rolle: 18 Jahre lang war sie Mitglied, erst als «normales» Mädchen, später als Scharleiterin. Ursula Abbt erinnert sich: Es war nach meiner Erstkommunion, als ich mit einigen meiner Kameradinnen in den Blauring unserer Pfarrei eintrat. Unsere Schar zählte über hundert Mädchen. Ich gehörte zur Gruppe Wettertanne. Wie freute ich mich darauf, jeden Samstagnachmittag mit meiner Gruppe zu verbringen, sei es irgendwo im Freien oder in unserm Gruppenzimmer unter der Kirche! Wir sangen zusammen, bastelten, wanderten und streiften durch den Wald, diskutierten oft auch über religiöse Themen. Einmal im Jahr übten wir ein Theater ein, mit dem wir dann am sogenannten ‹Altlütlifest› die vielen älteren Leute im vollen Johanneumssaal erfreuten. Immer am vierten Sonntag im Monat fand die Generalkommunion der Unterrichtskinder statt, und mit den Knaben aus Pfadi und Jungwacht füllten wir allemal beinahe unsere Kirche. Alle Jugendvereine marschierten auch stolz in Uniform und mit Fahnen an der alljährlichen Fronleichnamsprozession mit. Am Sonntagnachmittag trafen wir uns meistens im Johanneum, wo uns ein lustiger Film gezeigt wurde. Ein besonderes Erlebnis waren auch jeweils die Sommerlager an verschiedenen Orten der Schweiz. Ich denke, dass solche Jugendvereine wie der Blauring in unserer Pfarrei damals sehr wertvoll waren für viele Kinder. Für mich und für viele meiner Kolleginnen war es die einzige Möglichkeit, in unserer Freizeit zusammen mit andern etwas zu erleben und mitzugestalten oder Ferien zu verbringen. Dem Blauring bin ich auch nach meiner Schulzeit treu geblieben. Ich war Leiterin einer Gruppe und dazu auch noch Scharleiterin bis kurz vor meiner Hochzeit. Jedes Jahr organisierten wir Sommerlager für die Kinder und auch für die Leiterinnen. Es machte mir immer Freude, Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit zu begleiten und auch Leiterinnen für ihre Aufgabe zu begeistern. Wenn ich heute sage, dass unsere Pfarrei für mich ein Stück Heimat bedeutet, dann hat meine Zeit im Blauring einen Grundstein dazu gelegt. Ein umfassendes Familiennetzwerk – fast drei Jahrzehnte im Frauenverein
Nach ihrer Hochzeit im Jahr 1968 kamen bald Ursula Abbts drei Kinder zur Welt. Schon seit 1922 bestand in der Pfarrei der Frauenverein. «Wie man in den alten Protokollen der Vereinszusammenkünfte nachlesen kann, wurde den Frauen damals ihre Bedeutung für Kinder, Küche und Kirche nahegelegt und streng darauf geachtet, dass die Frauen jeden Sonntag den Gottesdienst besuchten», sagt Abbt, die sich nach langem Engagement in diesem Verein mit der Geschichte des Vereins auseinandergesetzt hat. Zu ihrer Zeit im Frauenverein erzählt sie: Im Jahr 1978 wurde ich von der damaligen Präsidentin angefragt, ob ich in den Vorstand des Frauenvereins kommen würde. Ich hatte bis dahin als Mutter von drei kleineren Kindern nicht viel von diesem Verein gehört und machte den Vorschlag, dass ich dem Vorstand beitreten würde, wenn ich etwas tun könnte für Mütter mit ihren Kindern. Ich organisierte das Mu-Ki-Turnen und schon bald trafen sich zwei Gruppen kleiner Kinder mit ihren Müttern jede Woche im Johanneum zum Turnen, Singen und Spielen. Beim anschliessenden Kaffee entstanden viele Freundschaften. Und als einige der Kinder in den Kindergarten kamen, entschlossen wir uns, diese Treffen weiterzuführen und auf die ganzen Familien auszuweiten. Neben dem Mu-Ki-Turnen entstand dann der Familienkreis. Wir unternahmen immer wieder Wanderungen zusammen und ab und zu trafen sich abends auch nur die Eltern zu einem gemütlichen Essen, zum alljährlichen Kegelabend oder als kostümierte Gruppe zur Pfarreifastnacht. Mit den Kindern des Familienkreises übte ich auch viele Weihnachtsspiele ein, die wir im Johanneum aufführten. Zusammen mit meiner Vorstandskollegin, Lydia Hossmann, gestalteten wir Familiengottesdienste, an denen die Kinder mit Freude mitwirkten. Jeden Donnerstag feierten wir unsern Frauengottesdienst, den wir oft mitgestalteten und dessen Name Frauenmesse bis heute noch geläufig ist. Wir regten auch an, dass diese Frauenmesse einmal im Monat im Seniorenheim Burstwiesen gefeiert wurde. Wir gestalteten Anlässe für Frauen im Johanneum und jedes Jahr unternahmen wir eine Reise mit den Mitgliedern des Vereins. Zu den Vorstandsreisen waren ab und zu auch unsere Ehemänner eingeladen. 1992 feierten wir siebzig Jahre Frauenverein und traten als Frauen von damals auf der Bühne auf. Eine Frau aus dem Vorstand war auch zuständig für den Betrieb des katholischen Kindergartens an der Gertrudstrasse, eine andere plante die Besuche bei unseren alten und kranken Mitgliedern. Wir halfen auch fleissig mit beim Servieren an den verschiedenen Pfarreianlässen. Ich vertrat einige Jahre den Frauenverein im Pfarreirat, trat dann aus dem Vorstand aus, als ich Pfarreiratspräsidentin wurde, blieb aber Mitglied, bis der Verein vor einigen Jahren aufgelöst wurde. Der Frauenverein wurde somit ein weiteres Glied in der Kette meiner Verbundenheit mit unserer Pfarrei. Das Gemeinschaftsleben hatte in der Zürcher Diaspora einen grossen Stellenwert. Von Anfang an prägten Vereine das katholische Leben in Zürich Wiedikon. Für jeden Lebensabschnitt gab es in der Pfarrei Herz Jesu Möglichkeiten sich zu engagieren. Das ist bis heute so. «Unsere Kirche ist nicht ein Zufluchtsort für Elende und Betrübte, dessen Tore sich nur am Sonntag öffnen. Auch der rauhe Werktag sieht jeden Morgen eine stattliche Anzahl von Betern und Beterinnen zum Gotteshause eilen. Dort holen sie sich die Kraft, die sie alle brauchen für ihr mühevolles Wochenwerk. Und wie schön ist es, wenn die Woche hindurch unsere Kirche sich an jedem Abend zu einem guten Teile füllt.» So war es im Kirchen-Anzeiger im Juli 1921 zu lesen. Knapp ein Monat nach der Weihe war die Kirche Herz Jesu bereits Teil des Alltags im römisch-katholischen Bevölkerungsteil Wiedikons. Vom Sport- bis zum Arbeiterverein Zum Aufbau der Gemeinde gehörte auch ein Gemeinschaftsleben: Schlag auf Schlag wurden ab 1921 neue Vereine in der Kirchgemeinde gegründet. Man musizierte gemeinsam, trieb Sport, spielte Theater und engagierte sich in Jugend-, Fürsorge- und sogenannten «Standesorganisationen». Gerade in den unteren sozialen Schichten waren die Mitgliedschaften in katholischen Organisationen besonders zahlreich. Diese gesellschaftliche Voraussetzungen galten für Wiedikon weit über die Gründungsjahre der Pfarrei hinaus. Noch 1937 schrieb ein Pfarrei-Chronist über Herz Jesu, «eine grosse Zahl der Pfarreiangehörigen sind Fabrikarbeiter. Daneben sind noch Büroangestellte, Bahn- und Versicherungsangestellte». Sittlichen Gefahren vorbeugen Die kirchlichen Vereine dienten mehreren Zwecken. Neben Bildungsanliegen und Freizeitgestaltung gab es auch andere Zielsetzungen. Die römisch-katholische Bevölkerung sollte politisch geeint und zur Wahl der katholischen Parteiliste motiviert werden. Die Vereine dienten gerade in der Diaspora einer kirchennahen Erziehung: Wer den Alltag und die Freizeit unter dem Dach der Kirchgemeinde verbringt, dem werden auch Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Kirche vermittelt. Insbesondere mit Blick auf die Jugend fürchtete die Geistlichkeit die «sittlichen Gefahren», die in der Stadt Zürich drohten. Als gesellschaftlicher Mittelpunkt des Quartiers war die Pfarrei mit ihren Vereinen aber auch lange Zeit diejenige Institution, die gerade Kindern und Jugendlichen günstige Freizeitstrukturen anbieten konnte. «Wir waren entweder auf dem Fussballplatz oder in der Pfarrei – da lief etwas», erinnert sich der ehemalige Präsident der Kirchenpflege und Vizepräsident der Kirchenstiftung, Jean-Jacques Hossmann (*1945) an die 1950er- und 1960er-Jahre in der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon. Möglichkeiten für die Jugend... Die Vereinslandschaft war für Pfarreimitglieder jeder Lebensphase ausgelegt. Kinder traten beispielsweise dem seit 1934 bestehenden Blauring oder ab 1925 der Pfadi Uto bei. Der Blauring war für Mädchen eine Vorstufe zur Marianischen Jungfrauenkongregation, die «zu lebendiger Frömmigkeit, selbständigem Denken und froher Hilfsbereitschaft» anregen wollte. Für die männlichen Schulabgängern führte der Vereinsweg weiter zur Jungmannschaft, die ihre Mitglieder zu «grundsatztreuen, charakterfesten Männern, Laienaposteln, Familienvätern und Staatsbürgern» heranbilden wollte. ... und für die Erwachsenen Erwachsene konnten sich beispielsweise im Vinzenzverein oder Elisabethenverein engagieren, deren Zweck die Unterstützung von Armen oder Wöchnerinnen war. Frauen konnten ausserdem dem Frauen- und Mütterverein beitreten, der als «Schule der Tugend und der christlichen Erziehungskunst» ein «echt christliches Familienleben» fördern wollte. Für Männer gab es zudem einen Männerverein und eine Männerkongregation. Viele dieser Vereine hielten regelmässige Zusammenkünfte ab und kamen einmal im Monat für eine Generalkommunion zusammen. Ihre Vereinsräume hatten sie auf dem Pfarreigelände, beispielsweise im Vereinshaus Johanneum. Einfluss der Pfarrei im Alltag Vereine waren aber bis mindestens in die 1960er-Jahre auch Mittel für die Geistlichen der Pfarrei, Einfluss auf den Lebenswandel der Gemeindemitglieder und Kontrolle über deren Kirchenbesuch auszuüben. Oft wirkten sie in der Leitung der Vereine mit: Der Frauen- und Mütterverein sowie die Jungmannschaft wurden beispielsweise von einem geistlichen «Präses» in Zusammenarbeit mit einem Laienvorstand geleitet. Der Präsident des Arbeitervereins wurde gar vom Pfarramt bestimmt. Auch im Alltag waren Ratschläge der Seelsorger durchaus präsent: «Der Besuch von gemischten Badis war uns verboten», erinnert sich die Ursula Abbt (* 1940), die sich im Blauring, als Katechetin sowie im Frauenverein engagierte und noch immer für die Gruppe 60+ aktiv ist. «Und im Frauenverein gab es immer eine Person, die angehalten war, den sonntäglichen Kirchenbesuch der Vereinsmitglieder zu kontrollieren.» Gewisse Positionen in der Kirchgemeinde brachten auch Erwartungen mit sich: Eine Katechetin sollte beispielsweise auch Mitglied der Marianischen Jungfrauenkongregation sein. Ein Blick in den Kirchenanzeiger verrät, wie umfassend die Pfarrei im Alltag Einfluss zu nehmen suchte und wie der Anzeiger an sich als Ratgeber diente. Neben ganz konkreten Anleitungen, beispielsweise welche Bouillon auch in der Fastenzeit zum Kochen erlaubt war, gab es auch Empfehlungen, in welchen Geschäften der Umgebung einzukaufen war. Wie ist mit Reformierten umzugehen? Zum Umgang mit anderen Konfessionen berichten Pfarreimitglieder, dass im Religionsunterricht Mitte des 20. Jahrhunderts die Römisch-katholische Kirche als die allein seligmachende dargestellt wurde. Aus diesem Grund war es sogar erlaubt, die Zwingli-Statue vor dem Zwinglihaus in der Aemtlerstrasse, unweit der Herz Jesu Kirche, mit Schneebällen zu bewerfen. Doch hielt das viele Kinder nicht von interkonfessionellen Freundschaften ab. Denn diese ergaben sich in den öffentlichen Schulen ohnehin. Zu seelischen Nöten konnte die Haltung der Geistlichen und Katecheten aber für Kinder gemischtkonfessioneller Ehen führen. Als Ursula Abbt im Religionsunterricht in Wiedikon in den 1950er-Jahren ihren reformierten Vater verteidigte, wurde sie dafür vom Vikar an den Zöpfen gezogen und zurechtgewiesen. «Aus Angst um sein Seelenheil habe ich mir sogar überlegt, den Vater heimlich in der Nacht zu taufen», erzählt sie rückblickend. Vereine als Aushängeschild Die katholischen Vereine hatten aber auch eine Rolle in der Öffentlichkeit. Gerade in der Diaspora von Zürich wurden – wie auch in Basel – die sogenannten «Katholikentage» ins Leben gerufen, die einer demonstrativen Versammlung der Katholikinnen und Katholiken gleichkamen. Damit sollte gegen aussen das im katholischen Milieu erstrebte Zusammengehörigkeitsgefühl und eine innere Geschlossenheit demonstriert werden. Die Vereine spielten für diese politisch-religiösen Veranstaltung eine zentrale Rolle. Im Kanton Zürich, wo die Anerkennung der Römisch-katholischen Kirche als Landeskirche erst 1963 erfolgte, trat der Vereinskatholizismus bis dahin geeint und geschlossen auf. Vereine waren mit ihren Uniformen und Fahnen an Grossanlässen wie den Katholikentagen in der Öffentlichkeit sichtbar und präsent. Aber auch innerhalb der Pfarrei war die Repräsentation der Vereine von Bedeutung: bei Prozessionen an Fronleichnam etwa. In Wiedikon hatte dieser Umzug bis 1966 Tradition, danach wurde er wegen der Bauarbeiten auf dem Pfarreigelände immer wieder verschoben und fand schliesslich nur noch rund um die Kirche statt. Progressive Kräfte in Herz Jesu Mobilität, Konsum und Medien beschleunigten die Integration der Katholiken in die Mehrheitsgesellschaft. Nach der staatlichen Anerkennung der Landeskirche 1963 in Zürich und dem Zweiten Vatikanischen Konzil brach die konfessionelle Geschlossenheit mehr und mehr auf. Mit Jungfrauenkongregation und Jungmannschaften konnten sich junge Erwachsene immer weniger identifizieren. Gleichzeitig hatte die katholische Kirche zunehmend Personalprobleme bei der Betreuung ihrer Vereine, denen nun oft der Präses und damit die zentrale, identitätsstiftende Person fehlte. Doch auch in der Kirchgemeinde gab es unterschiedliche Ansichten. Es wird von Vikaren in der Pfarrei Herz Jesu berichtet, die einen neuen Zeitgeist mitbrachten, der sich jedoch nur schwer mit den Vorstellungen des damaligen Pfarrers deckte. Ein Beispiel war Walter Wiest, der von 1956 bis 1965 Vikar in Herz Jesu war. Bereits vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil predigte er als Präses der Jugendvereine auf Deutsch und hielt den Gottesdienst dem Publikum zugewandt ab. 1965 wurde er unerwartet für die jugendlichen Vereinsmitglieder versetzt, was einzelne dazu bewog, sich für ihn einzusetzen. Progressive Kräfte der Pfarrei wehrten sich auch später gegen die Absetzung beliebter Seelsorger und demonstrierten wie im Fall von Vikar Franco Luzzatto 1989 gar öffentlich gegen ihren Pfarrer. Auflösungen in jüngster Zeit Wie in der gesamten Gesellschaft nahm auch im katholischen Milieu im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zunehmend die Bereitschaft ab, sich in Vereinen zu engagieren. Parallel dazu verlor die Kirche an Einfluss im Alltag. Hinzu kam gerade im Fall von Herz Jesu Wiedikon, dass durch den Zuzug von Arbeitsmigrantinnen und -migranten entsprechende Missionen in der Gemeinde heimisch wurden. Dies belebte die Kirche zwar auf neue Weise, brachte jedoch für die angestammten Vereine keinen Zuwachs, erzählen Jean-Jacques und Lydia Hossmann (*1945). Denn die Sprachgruppen blieben primär unter sich. Gleichzeitig änderte sich auch die soziale Struktur im Quartier: In Häusern, in denen früher sozial benachteiligte Grossfamilien lebten, wohnen nun vorwiegend Kleinsthaushalte. Mangelnder Nachwuchs und Rekrutierungsprobleme für die Vorstände führten so gegen Ende des 20. Jahrhunderts zur Auflösung vieler Vereine in Herz Jesu. Neue Formen des Engagements Als beständiger erwiesen sich der Kirchenchor und der Frauenverein, der nach dem Zusammenschluss mit dem Elisabethenverein 1973 bis ins neue Jahrtausend überdauerte. Und bis heute aktiv ist die Gruppe 60+. Während sich die Vereinslandschaft heute weitgehend aufgelöst hat, haben sich neue Formen von persönlichem Engagement in der Pfarrei etabliert. Zwar wollen sich die Gemeindemitglieder nicht für längere Zeit oder für regelmässige Aktivitäten verpflichten, meint Diakon Roland Jenny, «für Projekt-Engagements hingegen sind sie zu haben». Dem stimmt Gemeindeleiter Artur Czastkiewicz zu: «Die Aktivitäten haben sich deswegen nicht reduziert, sondern sie haben ein neues Gesicht bekommen.» Aktuell zeigt eine Ausstellung in der Oberkirche Herz Jesu Wiedikon mit rund 120 Bildern das vielfältige Vereinsleben der Pfarrei. Im nächsten Blog berichtet Zeitzeugin Ursula Abbt über ihre Erinnerungen und Erfahrungen in Blauring und im Frauenverein. Gündungen von Vereinen in der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon
Im Turm der Kirche Herz Jesu Wiedikon hängen sechs Glocken, die in Grösse und Klang aufeinander abgestimmt sind. Erst sieben Jahre nach dem Bau der Kirche konnte die Pfarrei sich 1928 dieses Geläut leisten und in den 1980er-Jahren musste eine defekte Glocke ausgetauscht werden. Eine Fotoausstellung in der Oberkirche lässt bis Ende September in die Wiedikoner Glockengeschichte eintauchen. Vor hundert Jahren war die Kirche Herz Jesu fertig gebaut und eine Pfarrei errichtet. Pfarrer Christian Herrmann kümmerte sich um die Gläubigen. Geld aber, um die Kirche nun auszustatten, war kaum vorhanden und musste erst gesammelt und gespart werden. Fünf Jahre nach dem Bau dann folgte 1925 die Einsegnung des Apsisbildes. Noch immer aber fehlte das, was Kirchen bis heute besonders auszeichnet: Glocken. Pfarrer Herrmann schrieb im Jahr 1927: Seit 1921 «haben wir viele, schöne, heilige Feste gefeiert, aber immer fehlte uns etwas: Der Glocken liebe Stimme». Ein Geläut aus Thüringen In der Schweiz gab und gibt es vor allem einen Namen, wenn es um die Herstellung und Restauration von Kirchenglocken geht: Rüetschi in Aarau. Hier werden seit dem 14. Jahrhundert Glocken gegossen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde hierzulande aber bekannt, dass deutsche Giessereien preiswert Glocken fabrizierten, die ebenfalls von guter Qualität waren: So wandten sich die Verantwortlichen aus Herz Jesu Wiedikon an den Glockengiesser Otto Schilling in Apolda nahe Weimar in Thüringen. Am 12. Juli 1928 goss Schilling das Geläut für Herz Jesu Wiedikon: nach einer Nacht Einfeuern entstanden sechs Glocken, die je zwischen 450 und 4200 Kilogramm wogen. Ihr Grundmaterial: Kanonen aus den Niederlanden und zwei alte Glocken aus Melchtal in Obwalden. Einige Wochen später reiste Glockenexperte Hugo Löbmann aus Leipzig nach Apolda, attestierte «einen völlig gelungenen Guss» und empfahl die Glocken «zur vorbehaltlosen Abnahme». Nun waren das Geläut bereit für den Export in die Schweiz. Freudentag im September Am 28. September vor 93 Jahren schliesslich kamen die Glocken aus Deutschland am Bahnhof Zürich an und wurden mit Ross und Wagen nach Wiedikon transportiert. Zwei Tage später, am 30. September, fand deren Weihe statt – im Beisein Bischofs Gregor Schmid von Grüneck. Bilder zeigen eine riesige Menschenmenge an der Aemtlerstrasse. 8500 Franken kamen beim Glockenopfer zusammen – heute entspräche dieser Betrag über 50 000 Franken. Ein «enormer Betrag», wie Pfarrer Herrmann rückblickend sagte. Der junge Vikar Loretz meinte, dies sei der schönste Tag in seinem Leben gewesen. Elektrische Läutmaschine Am 9. Oktober schliesslich läuteten die sechs Glocken zum ersten Mal. Pfarrer Herrmann schrieb dazu: «Das Gesamtgeläute wirkt ganz gewaltig. Unser Geläute ist zur Zeit das drittgrösste der Stadt Zürich. Zuerst kommt St. Anton und dann Fluntern.» Besonders freute er sich über die elektrische Läutmaschine, die am 30. November erstmals eingesetzt wurde und «die grosse Glocke schon ganz flott in Schwung» brachte. Und wie lange hielten die Glocken aus Apolda? 1984 war eine der sechs Glocken, die «Herz Jesu Glocke» verstimmt. Der Sprung konnte nicht mehr geflickt werden – die Glocke wurde zum Ausstellungsstück unter freiem Himmel auf dem Kirchplatz. Ersetzt wurde sie dann durch eine neue, in Karlsruhe gegossene Glocke. Waren 1928 noch Pferde für den Transport und ein Flaschenzug für die Montage im Turm gefragt, so erledigte dies 1984 ein Lastwagen mit Hebebühne. Auch diesmal zog das Spektakel Zuschauerinnen und Zuschauer an, wenn auch nicht mehr Hunderte wie 1928. Ausstellung in der Oberkirche bis Ende September
Die Fotoausstellung in der Oberkirche zeigt bis Ende September Bilder von 1928, als sich die Pfarrei endlich Glocken leisten konnte, und von 1984, als eine der Glocken ausgewechselt werden musste. Verantwortlich für diese Ausstellung ist Franziska Erni. Sie wählte die Bilder aus und erstellte aus zahlreichen Archivdokumenten die Erklärtafeln. Wer die Kirche Herz Jesu Wiedikon betritt, kommt nicht umhin, das Apsisbild zu betrachten. Bei seiner Entstehung in den 1920er-Jahren wurde darüber gestritten – und noch heute regt es zur Reflexion an. Teil 1 der Betrachtung des Apisbildes. Von Stefanie Faccani, Kunsthistorikerin lic. phil. und Katechetin Vor 50 Jahren, zum 50-Jahr-Jubiläum der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon, entstand eine Festschrift. Das Apsisbild des deutschen Künstlers Felix Baumhauer (1876–1960) in der Kirche – damals existierte nur die Oberkirche – sei am 16. August 1925 eingesegnet worden. Dies durch einen feierlichen Gottesdienst mit Festpredigt von P. Dr. Magnus Künzle, einem gefeierten Kunstästhetiker. Da steht aber auch diese pikante Information: In den ersten Tagen habe Pfarrer Zanetti von St. Peter und Paul mit der Unterstützung des damaligen Bischofs von Chur, Georgius Schmid von Grüneck, das frisch gemalte Apsisbild mit einer Kopie der sogenannten «Disputa» von Raffael (1483–1520) übermalen lassen wollen. Gehindert daran haben ihn aber der damalige Pfarrer in Herz Jesu Wiedikon, Christian Herrmann, und gleichgesinnte Mitbrüder. «Wer über Ihr Kirchengemälde die Nase rümpft, beweist damit nur, dass er von Kunst nichts versteht», soll Pfarrer Herrmann gesagt haben – nach den Worten des katholisch-konservativen Nationalrats Georg Baumberger. Ein altchristliches Mosaik? Ebenfalls nahm Jesuit und Kunstkritiker Josef Kreitmaier (1874–1946) in den katholischen «Zürcher Nachrichten» zum Wiedikoner Apsisbild Stellung: «Es ist durchaus zu verstehen, dass der in Kunstdingen wenig erfahrene und an die üblichen Kirchenmalereien gewöhnte Beschauer vorerst noch kein rechtes Verständnis für diese im besten Sinn moderne Schöpfung gewinnen kann. Wer ‹schöne› Figuren über ausdrucksstarke stellt, wer sich noch nicht in die tiefe Mystik altchristlicher Mosaiken und Malereien versenkt hat, wer eine glatte, in allen Einzelteilen aus der Naturanschauung gewonnene und farbig laute Malerei einer diskreten, nur aufs wesentliche Geistige lossteuernde, aus Naturverklärung und Naturerhöhung gezeugten vorzieht, wer von einem Wandbild an Stilisierung und verdichteter Form nicht mehr verlangt als von einem Tafelbild, wird erst den guten Willen aufbringen müssen, sein enges Kunstideal zu erweitern und zu vertiefen. […]» Lieber Baumhauer als Raffael Die Malerei in der Apsis von Herz Jesu Wiedikon von Felix Baumhauer war also in ihrer Entstehungszeit sehr umstritten. Was ist aus kunsthistorischer Sicht dazu zu sagen? Es ist ein Gewinn, dass keine Kopie des Bildes Disputa von Raffael, durch einen Flachmaler ausgeführt, in der Apsis der Oberkirche von Herz Jesu zu sehen ist, sondern eben das Bild von Baumhauer. Das Bild des italienischen Renaissance-Künstlers Raffael war in Rom entstanden in einem Raum, der eventuell für die päpstliche Bibliothek geplant war. Er diente als Sitzungszimmer für die päpstliche Rechtskommission und gehört heute zu den Vatikanischen Museen. Raffael malte die Apsiswölbung illusionistisch – das Fresko ist also nicht in eine Apsis wie derjenigen in Wiedikon eingefügt worden. Nicht nur technisch waren die Voraussetzungen für die ursprüngliche «Disputa» ganz verschieden von denjenigen für die Apsismalerei in Herz Jesu Wiedikon: Die «Disputa» entstand 1509/10 – einer theologisch und geistesgeschichtlich ganz anderen Zeit. Zeitgenössische Kunst 1921 wurde mit Felix Baumhauer ein damals namhafter zeitgenössischer deutscher Künstler für das Apsisbild in Herz Jesu engagiert, und es ist bis heute, 2021, erhalten geblieben. Dieses Apsisbild war ursprünglich Teil eines bildnerischen Gesamtkonzepts Baumhauers, zu dem die Chorwand, der Chorbogen, die Seitenwände und die Fensterbilder gehörten. Im Zuge der Renovation in den 1960er-Jahren sind nur das Apsisbild und die Fensterbilder erhalten geblieben und die Fensterbilder sind nicht mehr in der ursprünglichen Anordnung. Die Fensterbilder, die sich am nächsten zur Apsis befinden, beim Sakramentsaltar und beim Taufbecken, wurden zur Zeit der Renovation vom Schweizer Maler Ferdinand Gehr (1896–1996) gestaltet und sprechen eine eigene Sprache, losgelöst vom Bildprogramm von Felix Baumhauer. Ein kunsthistorischer Blick auf das Bild Heute zeigt sich uns das Apsisbild, ein eigentliches Teilstück, als einzelnes Bild der christlichen Dreifaltigkeit. Darauf zu sehen sind Gottvater, Jesus Christus am Kreuz und eine weisse Taube, Zeichen für den Heiligen Geist. Baumhauer knüpfte mit dieser Darstellung an eine traditionsreiche Bildsprache an. Ausgehend von der Taufszene entwickelte sich seit dem 8. Jahrhundert das Bild von Maria und dem Kind mit der Hand Gottes, des segnenden Vaters, und der Taube als Symbol für den Heiligen Geist. Um 1000 veränderte sich das Bild des Kindes zum Bild des gekreuzigten Jesus Christus. Ab dem 12. Jahrhundert wird Gottvater auch als «Vaterunser», unser aller Vater, als bärtiger alter Mann, dargestellt. Seit dem 13. Jahrhundert erscheint Gottvater als trauernder Vater. Im 15. Jahrhundert ist der Nimbus Gottvaters häufig dreieckig. Das Dreieck ist seit dem 4. Jahrhundert von Augustinus als Zeichen der Dreifaltigkeit bezeugt. Martin Luther (1483–1546) fand zum Bildtypus, wie er in Wiedikon zu sehen ist, einen bis heute prägenden Namen: Gnadenstuhl. Luther stützte sich mit seiner Wortfindung auf den Hebräerbrief in der Bibel (Hebr 4,16). Auch die von Baumhauer gezeigten dienenden Wesen finden sich im Hebräerbrief als «Cherubim», als Engel, erwähnt (Hebr 9) und die feurigen, sechsflügeligen Wesen könnten die im Buch Jesaja in der Bibel (Jes 6, 1-7) erwähnten «Seraphim» sein, ebenfalls Engel. Komposition zeugt von tiefer Kenntnis Am Fuss des Kreuzes malte Felix Baumhauer Figuren, die in der Bibel erwähnt sind, und solche, die zu späterer Zeit lebten. Pfarrer Guido Kolb (1928–2007), Pfarrer in Herz Jesu Wiedikon 1997/98, beschrieb sie so (v.l.n.r.): Johannes der Täufer, Margareta Maria Alacoque (1647-1690, Begründerin der Herz-Jesu-Verehrung), Salome (Mutter von Jakobus und Johannes), Maria (Mutter von Jesus), römischer Hauptmann, Maria Magdalena, Johannes, Josef von Arimathäa, Franziskus von Assisi (1181/2–1226), Maria (Mutter von Jakobus dem Jüngeren). So erzählt das Apsisbild von Felix Baumhauers tiefer Kenntnis des christlich katholischen Glaubensverständnisses und der Kirche Herz Jesu Wiedikon. Daran können wir heute noch teilhaben. Hier geht es zu Teil 2 der Betrachtung des Apsisbildes.
Herz Jesu Wiedikon lebt durch die Anlässe und Angebote der Pfarrei. Ein wichtiges Organ ist die Pfarrkirchenstiftung. Sie ist die Rechtsträgerin für das Vermögen der Pfarrei und besitzt Liegenschaften. Von Jean-Jacques Hossmann Der offizielle Name der «Kirchenstiftung», wie sie jeweils kurz genannt wird, lautet Römisch-katholische Pfarrkirchenstiftung Herz Jesu Kirche. Sie wurde am 15. Januar 1947 gegründet. Ein Rat aus sechs Personen Neue Stiftungsrätinnen und Stiftungsräte werden in Absprache mit dem Stiftungsrat vom Präsidenten dem Bischof vorgeschlagen und von diesem ernannt. Zurzeit setzt sich der Stiftungsrat wie folgt zusammen:
Die Pfarrkirchenstiftung ist die zivile Rechtsträgerin für das Vermögen der Pfarrei und des Pfarramtes und untersteht dem Churer Bischof. Sie führt eine Rechnung, die von beauftragten Revisorinnen und Revisoren geprüft wird. Das Bestehen der Stiftung ist nicht beschränkt. Eigentümerin von Liegenschaften
Die Stiftung Herz Jesu Wiedikon ist Eigentümerin von drei Mehrfamilienhäusern an der Aemtlerstrasse 41 / 42 und 43. Ebenso gehört ihr der Gebäudekomplex mit dem Johanneum und der Oberkirche. Das Schulgebäude im Eigentum der Schule sowie das Pfarrhaus und die Unterkirche im Eigentum der Kirchgemeinde sind hingegen im Baurecht erstellt worden. Die Jahresrechnung der Stiftung wird jeweils an der Kirchgemeindeversammlung vorgestellt und erläutert. Die Stiftung verfolgt ihren Statuten zufolge diese drei Zwecke:
Seit dem 10. Dezember 2020 ist die Stiftung im Handelsregister des Kantons Zürich eingetragen, bleibt aber steuerfrei. Denn alle Stiftungsräte arbeiten ehrenamtlich und die Mittel aus dem Vermögen der Stiftung werden für die Kirche und für karitative Zwecke ausgegeben. Ronald Jenny und Artur Czastkiewicz haben unterschiedliche Werdegänge. Die Arbeit in der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon verbindet die beiden seit mehr als einem Jahrzehnt. Ein Gespräch über die Seelsorge der Gegenwart und über die Chance neuer Formate. Artur Czastkiewicz, du stammst ursprünglich aus Polen und kamst für das Studium in Fribourg in die Schweiz. Wie hat es dich nach Herz Jesu Wiedikon verschlagen? Artur Czastkiewicz (AC): Das ging damals – es war 2009 – ganz schnell. Ich arbeitete in Genf, war für die polnische Mission in der Westschweiz zuständig. Da rief man mich nach Zürich, weil der damalige Pfarrer zum Bischof in Polen berufen wurde. Ronald Jenny (RJ): Auch bei mir ging’s damals rasch – quasi über Nacht wurde ich 2010 zum Gemeindeleiter ad Interim und am 1. April 2011 offiziell zum Gemeindeleiter von Herz Jesu Wiedikon gewählt. Vor dieser Zeit war ich Bereichsleiter auf der Jugendseelsorge in Zürich und habe über 35 Jahre in der Jugendpastoral auf verschiedenen Gebieten gewirkt. Artur und ich bereiteten dann eine Reorganisation vor und setzten sie um. Wir zwei arbeiten also schon seit zehn Jahren zusammen! AC: Stimmt! Ich habe dann noch im Bereich Kirchenrecht doktoriert und dann war ich 2016 bis 2020 im Generalvikariat tätig, zuständig für die Migrantenseelsorge. Immer aber blieb ich Herz Jesu Wiedikon verbunden, 2013 bis 2020 war ich Pfarradministrator, heute Gemeindeleiter. Die Vielfalt des Pfarreilebens hier begeistert mich nach wie vor. Denn aufgewachsen ich in einer traditionellen Gegend mit einer typischen polnischen Volkskirche. Unsere Aktivitäten haben sich nicht reduziert. Sie haben ein neues Gesicht bekommen. Herz Jesu Wiedikon hat eine traditionelle Seite – aber auch eine ganz moderne: Aussenstehende, die sich über die Pfarrei informieren wollen, stossen bald auf den YouTube-Kanal. RJ: Ich bin nicht sonderlich begabt mit den technischen Dingen. Aber während der Pandemie war das eine Möglichkeit, einige aufmunternde Worte zu spenden. Während des ersten Lockdowns liess ich mich für die Video-Impulse verschiedentlich inspirieren – vom Basilikum auf dem Balkon ebenso wie von Haikus. Meine Seelsorge lebt normalerweise aber durch die Begegnung. Seelsorge ist Beziehungsarbeit. AC: Auch ein YouTube-Video kann Beziehungsarbeit sein. Wenn wir nach einem Video eine begeisterte E-Mail erhalten oder ein Lob für die Webseite, dann stehen wir in Kontakt miteinander. Bei der Polenmission hier in Herz Jesu Wiedikon sammelten wir Erfahrungen mit der Live-Übertragung von Gottesdiensten. Das hat gut funktioniert. RJ: Wie häufig im Leben ist es auch hier bei der Seelsorge nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Wir müssen verschiedene Formate anbieten und pflegen, um mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. Besonders viele Menschen erreichen wir über das Singen. AC: Dazu gehören das Kindersingen, die Singschule und unser Kirchenchor, der Gregorius-Chor. In der Pandemie wurde es mit dem Singen sehr schwierig. Die Initiative unserer Kirchenmusiker zeigt das Video «Meine Hoffnung und meine Freude», das im Frühling 2020 entstand. Einst gab es in Herz Jesu Wiedikon ein reges Vereinsleben. Für jeden Lebensabschnitt existierte der passenden Verein. RJ: Ja, das ist tatsächlich so. Das Vereinswesen hat sich hier weitgehend aufgelöst. Wir merken hier die Veränderungen, wie sie überall in der Gesellschaft zu spüren sind: Die Menschen wollen sich lieber nicht mehr länger verpflichten, für Projekt-Engagements hingegen sind sie zu haben. AC: Die Kirchen entwickeln sich mit der Gesellschaft und müssen neue Formen suchen, neue Gefässe eröffnen, punktuelle Angebote schaffen. Die Aktivitäten haben sich deswegen nicht reduziert, sondern sie haben ein neues Gesicht bekommen. Wir hatten im Seelsorge-Team kürzlich eine Retraite. Unser erster Leitspruch lautet: «Die Erinnerung ist die Schwester der Hoffnung.» Herz Jesu Wiedikon probiert immer wieder neue Formate aus. Woher diese Neugierde? RJ: Ich bin ein grosser Träumer! Nach meiner Ausbildung in Sozialpädagogik war ich fast zwei Jahrzehnte lang Bruder im Kapuzinerkloster Appenzell, leitete das Internat der ersten bis dritten Gym. Als Spiritual war ich mit allen Schülerinnen und Schülern in Kontakt. Dort musste man immer bereit sein, neue Dinge anzureissen, aber auch aufzunehmen. Auch als Jugendseelsorger in Kloten und dann hier in Zürich war es mir wichtig, auf die Bedürfnisse der Jugendlichen zu reagieren und Formate zu entwickeln. Als roter Faden dient mir dabei meine Spiritualität. AC: Hier in Herz Jesu Wiedikon herrscht eine Offenheit für Neues. Wir haben ein tolles Team. Wichtig dabei ist immer die Authentizität, mit der wir in diesen neuen Formaten den Menschen begegnen: Jede und jeder muss sich selbst sein können. Nur so kann die Kirche auch Heimat sein. RJ: Wir wollen auch da sein für Leute, die mit Kirche nicht viel am Hut haben. Mit «Brot und Wein» habe ich eine Idee aus der Jugendarbeit weiterentwickelt: Ein gemeinsamer Abend mit «Fingerfood» als leibliche Nahrung und einem spirituellen oder kulturellen Impuls als geistige Nahrung. AC: Auch die aufsuchende Pastoral ist uns wichtig. Wir besuchen regelmässig Sterbende zuhause, ungeachtet deren Religion. Seelsorge besteht für uns also nicht nur aus klassischen Formen wie Gottesdiensten. Wir wollen auch experimentell sein und immer wieder Neues ausprobieren. Wir wollen auch da sein für Leute, die mit Kirche nicht viel am Hut haben. Auch karitative Tätigkeiten gehören zur Kirche. RJ: Ja, das ist ganz wichtig. Wir versuchen, hier möglichst niederschwellig zu sein. Unsere Mensa beliefert zum Beispiel dreimal die Woche Schwester Ariane mit 80 warmen Mahlzeiten. Mit ihrem Verein Incontro ist sie im Langstrassenquartier in der Gassenarbeit tätig. AC: Auch die Theatergruppe Schräge Vögel ist bei uns beheimatet, probt hier und tritt manchmal im Rahmen von Pfarreianlässen auf. Zweimal die Woche treffen sich Flüchtlinge hier mit einer Schneiderin und nähen Kleider. RJ: Wir haben das Glück, verschiedenen solchen Initiativen Raum bieten zu können oder einen Anschub zu geben. Immer wichtig ist mir die Hilfe zur Selbsthilfe. Speziell an der Pfarrei Herz Jesu ist auch, dass hier drei Missionen beheimatet sind. Seit 50 Jahren die Tschechen-Mission, dazu die polnische und die tamilische Mission.
AC: Es gibt – in nicht-pandemischen Zeiten – Sonntage, an denen über tausend Personen die Kirche besuchen. Hier können wir also nicht von leeren Kirchen sprechen! Die Menschen kommen teils von weit her zu uns. RJ: Die Vielfalt an Menschen und Kulturen versuchen wir auch zu leben und die Partizipation in alle Richtungen zu ermöglichen. Die tamilischen Ministrantinnen etwa sind auch im Pfarreigottesdienst tätig. AC: Ein schöner Anlass für mich ist jeweils der «Tag der Völker» mit allen Missionen, der das nächste Mal am 29. August stattfindet. Diese Feier zeigt das Verbindende: Die katholische Kirche im Kanton Zürich ist eine Migrantenkirche. Menschen kamen immer hierher, um zu arbeiten – aus den katholischen Regionen der Schweiz und heute aus der ganzen Welt. Und die Kirche bedeutete jeweils Heimat für sie. Die Architektur der Kirche Herz Jesu entsprach um 1920 ganz den Vorstellungen der Zeit: eine neoromanische Basilika, beruhend auf klaren Grundformen. Die auffällige Ausmalung der Apsis war damals aber umstritten. Ein Gespräch mit zwei der Architektinnen, die für die Renovation ab 2022 beauftragt sind. «Als ich die Kirche zum ersten Mal betrat, fiel mir das Blau des Apsisgemäldes auf», sagt Corinne Weber. Und ihre Geschäftspartnerin Nina Renner ergänzt: «Mein Architektinnenauge sah sofort den Bruch zwischen der intensiven Apsis und dem Rest des Raumes.» Ihnen ging es ähnlich wie Nationalrat Georg Baumberger, der bei der Einweihung befand: «Der Gesamteindruck der Ausmalung ist überwältigend.» Die beiden Architektinnen haben zusammen mit ihrer Fachkollegin Adriana D’Inca im Herbst 2020 das Planerwahlverfahren für die Renovation der Kirche gewonnen. Seither sind sie daran, die Kirche weiter zu untersuchen und mit Fachpersonen die Renovation zu projektieren. Disput um die Chorgestaltung Ausgangslage für die Untersuchungen der Architektinnen bildete das Apsisgemälde. Denn die ersten vier Jahrzehnte nach dem Bau war die Kirche Herz Jesu Wiedikon innen flächendeckend ausgemalt. Ins Auge sprang von Anfang an die Chorbemalung: zentral eine Trinitätsdarstellung mit Jesus am Kreuz, über ihm der trauernd-streng schauende Gottvater, darüber die Taube als Symbol für den Heiligen Geist, links und rechts des Kreuzes zehn verschiedene Heilige im Halbrund. Feierlich eingesegnet wurde dieses Chorgemälde des bayrischen Künstlers Felix Baumhauer an Mariae Himmelfahrt 1925. Schon bald setze eine kontroverse Diskussion ein. Im Kirchenanzeiger vom 30. August 1925 ist zu lesen: «Der Disput um unser Chorgemälde scheint ziemlich lebhaft weiterzugehen.» Dies sei nicht verwunderlich – man sei ja durch «eine süssliche, kraftlose kirchliche Malkunst» verwöhnt. Die «gewaltige Sprache der neuen Monumentalmalerei zu verstehen» müsse man erst lernen. Baumhauer habe hier ein «Meisterwerk» geschaffen. Mit der ersten Renovation der Kirche in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre verschwand die Kreuzwegdarstellung im Schiff und in den Obergaden, also den Fensterbögen. Seit Ende der 1960er-Jahre sind die Wände des Kirchenschiffes weiss; die Apsisbemalung wurde bei dieser Bereinigung jedoch beibehalten. «Seither wirken Chor und Schiff wie zwei separate Räume», konstantiert Renner. Einfache, aber gültige Grundformen Die Kirche wurde also im Verlaufe des 20. Jahrhunderts zweimal ausgestattet: einmal sehr farbig, später dann purifiziert. Beides gilt es bei der geplanten Renovation heutzutage mit einzubeziehen. Im Massnahmenkatalog mit den Desideraten für die Renovation der Kirche, den die Baukommission im Juni 2020 zusammengestellt hat, ist zu lesen: «Die Lichtgestaltung im Altar- und Kirchenraum ist neu zu konzipieren.» Ein besonderes Anliegen ist es, die scheinbar zweigeteilte Oberkirche wieder mehr zu einer Einheit werden zu lassen. Renner, Weber und D‘Inca interessierten sich daher für die Gesamtstruktur der Kirche und unternahmen auch Recherchen zu den Ursprungsideen der Kirchenarchitektur. Der mit dem Bau der Kirche Herz Jesu beauftragte Schwyzer, Joseph Steiner, war ab den 1910er-Jahren ein sehr erfolgreicher Kirchenarchitekt. Allein im reformierten Kanton Zürich baute er im Laufe seiner Karriere acht Kirchen. «Steiner wählte für seinen Bau einfache, aber gültige Grundformen wie das Quadrat und den Kreis», sagt Renner. Der neoromanische Bau entspreche ganz der Mode der Zeit, einzelne historisierende Elemente wie die Verzierungen bei den Rundbogenfenstern oder der Zaun, der damals um die Kirche herum gebaut worden sei, gehörten ebenfalls dazu. Ein öffentlicher und doch ruhiger Ort Was ist spannend an der Renovationsplanung dieses grossen Baus? Interessant sei die freie Zugänglichkeit einer Kirche, meint Renner. «Eine Kirche steht frei zur Verfügung, ohne Anspruch, ohne Anregung auf Konsum», ergänzt Weber. Es sei ein Ort der Ruhe und der Andacht. Und genau dies wollen die Architektinnen mit ihrer gestalterischen, aber auch technischen Arbeit für den Erhalt der Bausubstanz nun umsetzen. «Es geht darum, den Raum und die Substanz zu pflegen», sagt Weber, und zitiert dabei aus der Wettbewerbsbeilage: «Eine pragmatische denkmalpflegerische Herangehensweise» sei dafür notwendig. Diskussionen zu Farb- und Lichtgestaltung der Ober- und der 1966 errichteten Unterkirche, die technische Planung der Renovation ebenso wie die statische Untersuchung für den Umbau der Empore gehören dazu. Wie lässt sich die Kirche heute mit Leben füllen? Ausgangslage für den nächsten Blog-Beitrag bildet die Gegenwart: Gemeindeleiter Artur Czastkiewicz und Ronald Jenny im Gespräch über Vergangenheit und Zukunft von Herz Jesu Wiedikon.
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